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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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aus meiner Kindheit? Eine Melodie? Ein lang vergessenes Lied? Ein geheimnisvoller musikalischer Hinweis aus dem Universum?
    Jetzt spürte ich auch noch eine Berührung am Oberarm. Das wurde ja immer spannender! Zum ersten Mal meditiert, und schon hatte ich eine Vision mit allen Sinnen, inklusive Hören und Fühlen. Das musste ich unbedingt Melli erzählen.
    »He!«
    Wer war das? War das etwa wieder Buddhas Stimme? Die hatte ich doch gestern Abend erst vernommen. Allerdings hatte sie da lange nicht so barsch geklungen.
    »He, du da! Ist das etwa dein Handy, das da Musik macht?«
    Auf einen Schlag wurde ich zurück ins Hier und Jetzt katapultiert und riss die Augen auf. Von wegen Vision. Ärgerlich deutete der Bärtige neben mir auf die Tasche meines Sweatshirts. Dort blinkte und vibrierte es gleichzeitig, und dazu erklangen immer wieder die ersten Takte von »Karma Camaeleon«. Dabei hatte sich bisher noch nie jemand über meinen Klingelton beschwert. War ja
auch mal was anderes, ein Top-Ten-Hit aus dem Jahr der eigenen Geburt.
    Bloß in einer Yogastunde hatte er offensichtlich nichts verloren.
    Schon wieder schauten mich alle an. Sie sahen dabei nicht sehr gelassen aus. Das wurde ja langsam zur Gewohnheit. Meine Aura färbte sich erst schamrot und dunkelte dann zügig nach.
    Hektisch warf ich einen Blick auf das Display.
    Ich kannte die Nummer nur zu gut.

MATYASANA
    Der Fisch (Matyasana) befreit, macht offen für neue Erfahrungen und gibt uns unbeschwerte, kindliche Lebensfreude.

    Anna hatte nicht nur eines dieser modernen Alleskönnergeräte, sondern auch die coolste Handynummer der westlichen Welt. Bei einer Sonderaktion hatte sie sich einen der ersten Verträge mit einem neuen Anbieter gesichert, und seitdem besaß sie eine Nummer mit einer Sieben und sieben Nullen.
    Die hätte ich sogar auswendig wählen können, und das wollte etwas heißen. Schließlich behielt in den Zeiten der unbegrenzten Speicherkapazität kein Mensch mehr so etwas wie Telefonnummern in seinem analogen Hirn. Dafür hatte Anna eine extrem uncoole Vorwahl, lang und mit vielen krummen Zahlen.
    Irgendwas war immer.
    Ich rief sie auf der Straße vor dem Yogazentrum zurück, und sie schlug vor, zum Inder zu gehen. Dabei tat sie sehr geheimnisvoll. Wir müssten dringend reden, sagte sie.
    Ich konnte mir schon denken worüber. Und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das auch wollte.
    Das »Delhi Deli« hatte erst vor kurzer Zeit eröffnet. Es lag genau zwischen meiner Wohnung und der kleinen Sackgasse mit dem Wendehammer, wo meistens mein Auto parkte. Die Straße war derart versteckt, dass nicht einmal Verkehrspolizisten sie kannten.
    Eigentlich hätte der Imbiss alle Chancen gehabt, mein Stammlokal zu werden. Schließlich bot er auch Curry to go an. Aber irgendwie
war ich nicht die Zielgruppe. Die Tagesgerichte, die draußen auf einer Tafel mit bunter Kreide standen, klangen entweder beängstigend (Okraschoten mit scharfem Chutney) oder unverständlich. Doch heute würde ich dem Laden eine Chance geben. Veränderungen wagen.
    Wenigstens mein erster Schulterstand sollte sich gelohnt haben.
    Als ich die Tür öffnete, bimmelte ein Tempelglöckchen. In der Luft hing eine Duftwolke von indischen Gewürzen, die so schwer war, als könnte sie gleich mit einem lauten Rumms zu Boden krachen. An einem hohen Stehtisch lehnten mehrere Typen mit Geradeaus-dem-Bett-Frisur und tief sitzenden Jeans und schaufelten etwas Scharfriechendes in sich hinein. Hinter dem Tresen stand ein Mann mit Cappuccino-Hautfarbe und undurchdringlichen Augen und befüllte Aluminiumschalen für ein wartendes Pärchen. An der Wand hing ein Hochglanzposter von einem Hindu-Gott mit Elefantenkopf in knallig bunten Farben und einem Kalender von 1997.
    Dann entdeckte ich Anna an einem der Barhocker mit Blick aus dem großen Panoramafenster. Ihre Augenringe waren farblich auf ihren Business-Anzug abgestimmt, und sie nippte an einem milchigen Tee.
    Jetzt wollte ich wissen, ob das geklappt hatte mit der Verjüngung im Schulterstand. Wenn ich schon an 1997 denken musste.
    »Fällt dir was auf an mir?«, fragte ich vorsichtig.
    Sie betrachtete mich prüfend und zog dabei die Stirn in Falten.
    »Du siehst ein bisschen gestresst aus«, sagte sie, »du solltest dir wirklich einen Ausgleich schaffen, bei deiner Art zu leben.«
    Das war auch wieder nicht das, was ich hatte hören wollen. Allerdings besser, als plötzlich wieder fünfzehn zu sein. Das war keine schöne Zeit gewesen. Ich hatte

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