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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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Rinde.
    »Gerlinde?«, rief ihre Freundin vom Blumenbeet aus. »Machst du Reiki?«
    Gerlinde antwortete nicht. Sie hatte noch immer die Augen geschlossen und murmelte etwas.
    »Gerlinde!«
    Sie ließ ihre Hände langsam, fast zärtlich an der Rinde hinunterwandern.
    »Gerlinde! Das ist der falsche Baum! Die kaputte Wurzel gehört zu dem da drüben!«
    Siv ließ meinen Oberarm los. Er grinste noch immer. Dann legte er die Hand auf meine Schulter. Große Hand, warme, trockene Finger. Haut wie Samt und Seide.
    »Hey«, sagte er, »alles klar bei dir?«

    Ich hielt die Luft an. Hatte ich schließlich nicht umsonst bei den yogischen Atemübungen gelernt. Energie anreichern. Vielleicht, dass er dann seine Hand nie wieder wegnehmen würde bei so viel geballter Lebenskraft. Dabei gab es nur ein Problem.
    Mit angehaltener Luft konnte man nicht sprechen.
    »Ja, klar«, keuchte ich, »ich war nur in Gedanken.«
    Satya war mittlerweile zum Haus gestapft und hatte den Stecker gezogen. Bisher hatte immer noch niemand mit mir geschimpft.
    »Gute Gedanken, hoffe ich?«
    »Ich habe über die Natur des Glücks nachgedacht.«
    »Dann hat es sich ja gelohnt«, gab Siv zurück, »was ist schon eine kaputte Schnur gegen die großen Fragen des Lebens?«
    Er nahm seine Hand weg. Kleine, glühende Punkte hatten sich unter meine Haut gegraben, dort, wo sie gelegen hatte. Ich wartete ab, ob er doch noch etwas sagen würde aus der Abteilung Groß, Schön & Schlicht. Kam aber nichts.
    Musste ich eben wieder mal selbst aktiv werden.
    »Sag mal«, fragte ich, »wann genau gibst du immer deine Kurse bei Freddys Fitnessfarm?«
    »Montags und mittwochs«, antwortete er, »Dienstag und Donnerstag bin ich außerdem im Buddha-Loft. Und freitags in der Nirvana Lodge.«
    Sowas. In dem Laden war ich doch schon gewesen. Mit Nadine.
    Am nächsten Tag auf dem Heimweg waren wir alle vier ungewöhnlich wortkarg. Anna machte sich Notizen in ein ledergebundenes Büchlein. Ich hätte wetten können, sie hatten entweder mit ihrer Bewerbung bei Sunny Side zu tun oder mit dem Tchibo-Wochenangebot. Nadine musste eine lange Liste von eingegangenen SMS bearbeiten und kicherte dabei dreckig. Ich spürte sensibel in mich hinein, empfand aber keinen Drang, mein eigenes Handy anzuschalten. Das war ein gutes Zeichen. Meine geistige Entwicklung hatte einen ordentlichen Sprung gemacht am vergangenen Wochenende.
    Vielleicht hatte ich auch einfach nur endlich die Hoffnung auf eine Nachricht von Chris aufgegeben.

    Und Siv, der … na gut, der hatte nicht einmal meine Handynummer.
    Melli saß hinter dem Steuer und trug Sonnenbrille, obwohl noch immer der norddeutsche Landregen niederging. Ausgerechnet bei ihr war ich mir am wenigsten sicher, worüber sie nachdachte. Konzentration konnte es nicht sein. Autofahren allein war eine Tätigkeit, die sie noch nie besonders ausgefüllt hatte. Normalerweise war sie problemlos in der Lage, gleichzeitig einen Gefahrgutschwertransport zu überholen, unter dem Beifahrersitz nach einem verloren gegangenen Gummibärchen zu suchen, den Sendersuchlauf des Radios zu betätigen und mir dabei auseinanderzusetzen, warum Boris Becker sich niemals zu einer rothaarigen Frau hingezogen fühlen würde. Jetzt saß sie vollkommen unbeweglich hinter dem Lenkrad.
    In der Ferne drehten Windräder ihre stummen Energiekreise, in der Nähe grasten Schafe. Der Parkplatz des »Steakhaus Landfrieden« war leer bis auf einen Ford Fiesta und einen verbeulten, beigefarbenen Mercedes. Im Vorbeifahren meinte ich, dass beide Kennzeichen auf OM endeten. Aber ich konnte mich auch getäuscht haben. Wer sich von gezeichneten Buddhas anquatschen ließ, dessen Wahrnehmung war wohl auch sonst kaum zu trauen.
    Hinter dem nächsten Autobahnkreuz begann mich die Stille im Auto zu nerven. Sie war nicht angenehm, eher wie etwas Dickes, Wattiges, das mich in den Sitz quetschte und mir die Luft zum Atmen nahm. Kopfweh hatte ich auch. Vielleicht stimmte etwas nicht mit Mellis Aura oder mit meiner eigenen. Jedenfalls hatte ich ganz deutlich das Gefühl, dass sich im vorderen Teil des Kleinwagens wieder jede Menge negative Energie sammelte. Immerhin, ich schien in den letzten Wochen deutlich sensibler geworden zu sein. Früher hätte ich so etwas nicht gemerkt oder mein Kopfweh auf die güllegeschwängerte Landluft draußen vor dem Fenster geschoben.
    »Heute Vormittag die letzte Stunde war einfach der Witz«, versuchte ich ein Gespräch.
    Melli sagte etwas Undeutliches, das so klang wie

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