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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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»Ha«. Allerdings nicht besonders amüsiert.

    »Stell dir vor«, redete ich einfach weiter, »da war eine Lehrerin, die konnte selbst keinen Kopfstand.«
    »Ja. Und?«
    »Wie, ja und? Würdest du vielleicht einen Englischkurs bei jemandem machen, der selbst nicht mal ein Bier in einem Pub bestellen kann?«
    »Du verstehst das wirklich nicht, oder?«, fragte Melli ungläubig. »Genau das ist ja das Besondere am Yoga. Dass jeder an seine eigenen Grenzen geht und nicht die Leistung zählt. Dass jeder so, wie er ist, richtig ist.«
    Danach war es wieder still. Ich musste daran denken, was Melli vorgestern Nacht zu mir gesagt hatte. Ich mache keine halben Sachen. Wenn ich auf Kurs bin, dann bin ich auf Kurs.
    Und dann war mir plötzlich alles klar. Vielleicht war das genau mein Problem. Dass ich im Gegensatz zu Melli sehr gern halbe Sachen machte. Oder Viertelsachen oder Zehntelsachen. Dass ich immer schnell zu begeistern war und genauso schnell wieder gelangweilt.
    Zwei Stunden später stand ich wieder auf dem Balkon meiner Wohnung und versuchte zu rauchen. Auf den ersten Blick sah alles noch genauso aus wie bei meiner Abreise: der Bistrotisch mit dem Klecks Taubenkacke und dem kleinen Aschenbecher mit einem Bild der »Schwarzwaldklinik«, der Balkon gegenüber mit dem hölzernen Wagenrad an der Wand, die ungeputzten Fensterscheiben. Hinter mir das Zimmer mit dem vollgekrempelten Sofa, das unbarmherzige rote Lämpchen meines Anrufbeantworters, das überhaupt nicht daran dachte, zu blinken. Trotzdem. Irgendetwas war anders.
    Erst dachte ich, dass es nur die gelegentliche Abendzigarette war, die plötzlich nicht mehr schmeckte. Aber das war erst der Anfang.
    Ich bekam mein Lieblings-Chicken-Curry nicht mehr runter. Stattdessen packte mich ein unerklärlicher Heißhunger auf Tofuwürstchen. So richtig schön trocken von außen und flockig-bröselig von innen.
    Und dann war noch diese Sache mit den Blättern. Und das war mit Abstand die verrückteste.

    Ich sah es erst, als ich gerade ins Bett gehen wollte. Da stand mein trauriger Ficus im Halbdunkel, kahl und dürr, und streckte mir stolz ein hölzernes Ärmchen mit drei winzigen, grünen Spitzen entgegen. Mein Ficus, Evke Franks Ficus, hatte neues Leben hervorgebracht. Solange ich denken konnte, hatte noch keine meiner zahlreichen Grünpflanzen jemals so etwas getan.
    Wenn das mal kein Zeichen war.
    Dies war der Beginn eines neuen Lebens. Eines Lebens, in dem alles Yoga sein würde. Vom Zähneputzen bis zum letzten Schluck Kräutertee. In echt jetzt.
    Wenn Melli einhundert Prozent gab, dann wollte ich einhundertfünfzig geben.
    Vielleicht würde ich dieses Leben auch mit jemandem teilen. Ich hatte da jedenfalls schon so eine Idee.

SHIRSASANA
    Durch den Kopfstand (Shirsasana) werden vitale Gehirnfunktionen angekurbelt. Wer regelmäßig den Kopfstand übt, kann damit sowohl sein Gedächtnis und sein Konzentrationsvermögen trainieren als auch zu neuen, kreativen Höhenflügen gelangen.

    Der erste Mensch, mit dem ich mich am ersten Tag meines neuen Lebens unterhielt, war ein Fußgängerzonenpunk. Der war auch neu. Er saß vor dem Einkaufszentrum, wo sonst immer der nervtötende Leierkastenmann gestanden hatte, und machte mit einem langen Blasrohr Geräusche wie ein balzender Monsterfrosch. Sein Irokesenkamm war sehr akkurat gefärbt, ein Abschnitt in Blau, einer in Rot, einer in Gelb. Vielleicht ein patriotischer Punk, dem die schwarze Farbe ausgegangen war. Gab es ja alles heutzutage.
    Ich blieb vor ihm stehen und schloss die Augen. Atmete tief ein und aus. Ich versuchte, Vergangenheit und Zukunft loszulassen und mich nur auf den Moment zu konzentrieren. Den erdigen Ton aus dem Holzblasrohr, den Duft aus dem nahen Coffee-to-go-Laden. Oder war das auch schon wieder rajaz? Durfte ich als echte Yoga-Anhängerin Kaffee nicht einmal mehr riechen? War es vielleicht dann okay, wenn der Laden auch Chai Latte hatte?
    Mein neues Leben stellte mich schon in den ersten zehn Minuten vor ungeahnte Herausforderungen.
    »Is was?«
    Ich öffnete die Augen. Der Punk hatte aufgehört zu spielen und sah mich besorgt an.

    »Nein, alles okay.«
    »Dann is ja gut. Dachte schon, du kippst mir jetzt gleich vor die Füße.«
    Ich schüttelte hektisch den Kopf, wühlte in meiner Jackentasche, nahm einen Euro heraus und legte ihn in einen Schuhkartondeckel, der vor dem Punk auf dem Boden stand.
    Er musterte den Euro skeptisch, dann wieder mich.
    »Hübsch«, sagte er dann, »haste noch mal so

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