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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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hätte. Die Disco, die noch im Rohbau war, das Frühstücksbüfett aus Wasser und Brot, das schmale Bett für das Honeymoon-Paar und der Kellner, der sich nicht die Hände gewaschen hatte. Absolute Klassiker. Klar, natürlich gab es die einschlägigen Schreiben, bei denen es den Kunden nur um Geld ging. Die jede Staubfluse unter dem Bett fotografierten und jeden Strohhalm, der im Pool schwamm, um hinterher ein paar Prozent Rabatt auszuhandeln. Aber es gab eben auch die anderen. Die monatelang gespart, sich gefreut, sich den Urlaub in den leuchtendsten Farben ausgemalt hatten und die sich jetzt betrogen und beraubt fühlten. Konnte ich denen einfach mit unserem herzlosen Musterschreiben kommen? Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht?
    »Frau Frank?«
    Ich hatte gar nicht bemerkt, wie Berger hinter mich getreten war.
    »Ist was, Frau Frank? Sie wirken so abwesend.«
    Ich schüttelte mich ein bisschen, so wie ein Hund, der aus dem Regen kommt. »Ach nichts, Herr Berger. Ich glaube, ich werde heute
Nachmittag mal ein paar neue Musterschreiben entwerfen. Unsere sind einfach nicht mehr zeitgemäß.«
    »Wie, nicht mehr zeitgemäß?«
    Ich hatte jetzt genau zwei Möglichkeiten. Ich konnte Berger einen Vortrag darüber halten, wie lieblos wir unsere Kunden behandelten. Oder … ja, was eigentlich?
    »Es gibt da diese neue Methode, die von amerikanischen Marketingexperten erfunden worden ist«, fabulierte ich drauflos, »Management by Yoga. Eine brandaktuelle Philosophie, in der es darum geht, dem Kunden nicht nur mit Respekt, sondern mit tief empfundener Liebe und Wertschätzung zu begegnen. Mit wahrer Achtsamkeit und Mitgefühl.«
    »Management by Yoga?«, echote er. Dann baute er sich vor meinem Schreibtisch auf, stützte sich mit seinen Fingerspitzen auf der Tischplatte ab, beugte sich vor und blies mir eine Ladung Wurstbrotatem ins Gesicht.
    »Liebe??«
    Es klang etwa wie: »Haben Sie einen an der Waffel?«
    »Lassen Sie mich mal machen«, erklärte ich, »heute Abend haben Sie die ersten Resultate.«
    »Frau Frank«, eine steile Falte hatte sich zwischen Bergers Augenbrauen gebildet, »ich glaube, Sie sind unterzuckert. Sie sollten dringend zu Tisch gehen.«
    Ich nickte folgsam und griff nach meiner Handtasche. Als ich mich zum Gehen umdrehte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie er hektisch etwas in das Eingabefeld einer Suchmaschine tippte. Management …
    Du lieber Gott. Om Shanti. Er hatte recht. Es war wirklich Zeit für eine sehr ausgedehnte Mittagspause. Am besten bis nach Bergers Feierabend. Da hatte ich mir ja etwas Schönes eingebrockt.
    Sobald ich mich in die Kantinenschlange eingereiht hatte, stand ich vor einem neuen Problem. Kohlrouladen waren nicht vegetarisch, die Snack-Alternative erst recht nicht. Oder hatte schon mal jemand von Tofu-Currywurst gehört? Blieb die Salatbar mit ihren traurigen,
sauer eingelegten Nudeln von gestern oder eine Kombination aus Beilagen. Ich warf einen Blick zu Plisch und Plum, die hinter der Theke gemeinsam ihr tägliches Schöpfkellenballett vorführten.
    Natürlich hießen die Kantinenfrauen nicht wirklich so, aber ihre echten Namen waren mit Sicherheit nicht halb so treffend. Plisch war klein, blond und spillerig, und sie sah von hinten aus wie ein zwölfjähriger Junge. Plum war groß, mächtig und dunkel gelockt, dazu trug sie eine Brille wie ein sowjetischer Politbürovorsitzender aus den Sechzigerjahren. Ich fragte mich manchmal, ob das ein modisches Statement war oder ob sie die alte Lesebrille ihres eigenen Vaters auftrug.
    Als ich an die Reihe kam, hatte ich endlich einen Plan. »Eine Portion Kartoffelsalat und eine Portion Spinat«, bat ich, und Plum fuchtelte mit der Kelle.
    »Auf Diät, was?«
    »Nein. Ich bin jetzt Vegetarierin.«
    Sie sah mich so mitleidig an, als hätte ich ihr mitgeteilt, dass ich an einer unheilbaren Krankheit kombiniert mit nässendem Ausschlag litt. Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde gleich mit ihrer Kelle an das Glas der Durchreiche klopfen und laut verkünden: »Alle mal herhören! Die Frank isst keine Tiere mehr!« Stattdessen klatschte sie mir achselzuckend einmal grüne und einmal gelbe Pampe auf einen Teller und entließ mich mit einem »Ich sach immer, das muss jeder für sich selbst wissen.«
    Während ich zentimeterweise Richtung Kasse vorrückte, inspizierte ich die beiden Haufen auf meinem Teller genauer. Was war das in dem Kartoffelsalat? Da versteckten sich doch haufenweise heimtückische Speckwürfelchen zwischen den

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