Mantramänner
mich, oder klang er mittlerweile etwas genervt? Wahrscheinlich hatte er es selten mit so begriffsstutzigen Jüngern zu tun wie mit mir. Da konnte einem schon mal die buddhistische Gelassenheit abhandenkommen.
»Evke, sag mir eines: Was ist für dich Glück?«
Das war gar nicht so einfach zu beantworten, während ich ein störrisches Mistding von den Ausmaßen eines Kleinwagens über die abschüssige Wiese beförderte. Dann fiel mir doch etwas ein.
»Liebe, hauptsächlich.«
»So.« Täuschte ich mich, oder klang er etwas sarkastisch? Ausgerechnet Buddha? »Und was noch?«, fragte er.
Wenn er mir so kam, konnte ich auch patzig werden. »Nix«, gab ich zurück. »Alles andere ist doch bloß Deko. Einen Parkplatz vor dem Haus finden, oder wenn es in der Salatbar in der Kantine mal was anderes gibt als die kalten Nudeln von gestern und Rote Bete aus dem Glas. Geschenkt. Aber Glück? Glück hat immer mit anderen Menschen zu tun.«
»Du würdest also sagen, es sind immer die anderen für dein Glück verantwortlich?«
»So einfach ist das natürlich auch nicht«, beeilte ich mich zu sagen. Konnte mir schon denken, worauf der Typ in Gold wieder hinauswollte.
»Denk doch mal nach, Evke«, jetzt war Buddha wieder ganz der Alte, mit seinem Opa-erklärt-dir-die-Welt-Ton. »Wahre Glückseligkeit kann nur aus uns selbst heraus entstehen. Aus dem Moment. Im Yoga nennt man diesen Zustand Samad…«
Ein ohrenbetäubendes Krachen, dann ein Geräusch, als würde jemand eine Gartenbank häckseln. Im nächsten Moment sah ich, wie Satya auf mich zustürzte, wild gestikulierend.
Jetzt bemerkte ich es auch. Vor mir lag das durchtrennte schwarze Kabel wie eine tote Schlange im Gras, und wo eben noch der Rasenmäher darübergefahren war, hatte ich einer mächtigen Baumwurzel im Moos die Rinde amputiert.
Vielleicht hätte ich mich doch lieber auf das Mähen konzentrieren sollen und nicht auf den Moment.
Ich bückte mich, um mir genauer anzuschauen, was ich angerichtet hatte. Gleichzeitig versuchte ich mich zu erinnern, ob ich jemals eine Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen hatte. Oder ob das nur eines dieser Dinge war, die mir alle halben Jahre einfielen und mir ein schlechtes Gewissen machten.
»Ned!«, hörte ich Satya jetzt rufen. »Ned olanga!«
Es klang sehr eindringlich. Unglücklicherweise verstand ich kein Wort. Ich verharrte in einer unentschlossenen Pose, halb gebückt, und fragte mich, ob es für die auch einen Yoganamen gab.
»Du! Mit der Karobluse da! Du sollst das Ding nicht anfassen! Könnte unter Strom stehen!« Ich wirbelte herum, und schon stand Siv vor mir und packte mich am Handgelenk.
In diesem Augenblick hatte ich zwei überraschend klare Gedanken.
Erstens: Ich war nur knapp dem Tod beim Karma Yoga entgangen. Dabei hätte mir das im nächsten Leben wahrscheinlich einen enormen Startvorteil verschafft. Wahrscheinlich wäre ich als Hollywoodstar wiedergeboren worden und hätte meine persönliche Assistentin zum Rasenmähen geschickt, statt mir selbst die Hände schmutzig zu machen. So gesehen: Dumm gelaufen.
Zweitens: Mr Buddha hatte mir soeben das Leben gerettet. Okay, vielleicht nicht absolut filmreif. Er hatte sich weder ein nasses Taschentuch
vor die Nase pressen müssen, um mich aus einem einstürzenden und brennenden Gebäude zu retten, noch hatte er mich mit zwei Fingern aus einem Abgrund zwischen Häuserschluchten gezogen. Trotzdem. Leben war Leben.
Hatte ich nicht einmal irgendwo gelesen, dass Männer und Frauen, die sich in gefährlichen Situationen kennenlernten, besonders attraktiv aufeinander wirkten? Jedenfalls gab es da eine Art Naturgesetz, und ich war entschlossen, es für mich auszunutzen.
Ich blickte meinen Retter mit einer perfekt dosierten Mischung aus bedeutungsschwangerem Ernst und augenzwinkernder Leichtigkeit an, die eine solche Situation erforderte. Fühlte sich jedenfalls so an. Er öffnete den Mund, mein Handgelenk noch immer zwischen seinen Fingern. Jetzt würde er etwas sagen. Etwas Passendes, Schlichtes, Schönes. Etwas wie: Du zitterst. Oder: Das war knapp. Oder einfach nur: Wie heißt du eigentlich?
Siv schüttelte den Kopf, dann begann er zu kichern.
»Aber sonst geht’s gut?«, fragte er.
Zugegeben: Schlicht war das. Aber schön?
Eine der rothaarigen Frauen war aufgestanden und zu einem nahen Baum geschlendert. Sie stellte sich breitbeinig hin, hob die Handflächen und den Blick gen Himmel und legte die Hände dann sanft auf die rissige
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