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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Hagedorn
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einen?«
    Keine Frage, dieser Mensch war noch viel zu sehr verhaftet in seinen materiellen Bedürfnissen. In seiner spießigen Zukunftsplanung. Doch ihm konnte geholfen werden.
    »Einen zweiten Euro nicht. Aber vielleicht solltest du es einmal mit Yoga versuchen«, sagte ich sanft.
    »Aber sonst geht’s dir gut?«
    Diese Antwort hatte ich vor Kurzem schon mal gehört. Von wem bloß? Ich stellte mir vor, wie ich eine Lichtdusche über dem Punk ausgoss. Das hatte nicht den gewünschten Effekt. Eher im Gegenteil. Der Typ machte mich aggressiv. Ich versuchte, mir eine Bierflasche vorzustellen, die goldene Tröpfchen über ihm versprühte. Das war deutlich lebensnäher. Sympathischer wurde er mir dadurch auch nicht.
    »Yoga!«, der Patriotenpunk spuckte mir das Wort verächtlich vor die Füße. »Wenn ich das schon höre! Hat meine Ex auch angefangen, und jetzt wohnt die auf Ibiza in irgend so ’ner Höhle mit ihrem Guru und macht Sonnengruß jeden Morgen. Nee, nee, da fang ich gar nich an mit, mit so was.«
    Fünf Minuten später, als sich die Türen des Büroaufzuges gerade hinter mir schlossen, sah ich, wie jemand angehetzt kam. Ohne nachzudenken, stellte ich meinen Fuß in den Türspalt. Frau Stöver trug eine lange Karobluse, vor ihrem Busen wogte ein Paket mit Hängeordnern, das sie in den Armen hielt wie ein Baby.
    Wieder schloss ich für einen Moment die Augen. Anandoham. Wonne, Wonne. Mögen alle Wesen Glück und Harmonie erfahren.
    »Guten Morgen, Frau Stöver!«

    Sie schaute mich an, als hätte ich rückwärts gesprochen. So begrüßt zu werden, war sie nicht gewohnt. Schon gar nicht von mir.
    »Ja, ja«, erwiderte sie, »ganz meinerseits.«
    Hilfsbereit drückte ich auf den Knopf mit der Drei, wo sie aussteigen musste.
    »Steht Ihnen gut, die Bluse«, sagte ich und setzte mein strahlendstes Lächeln auf. »Neu?«
    Unsicher blickte Frau Stöver sich um, so als erwarte sie, dass noch jemand hinter ihr stand.
    »Hmpf«, sagte sie und fixierte den Boden, dann die Wand. Dort hing noch immer mein fingiertes Erpresserschreiben.
    »Weiß man denn mittlerweile was?«, fragte ich vorsichtig. »Ich meine, wegen der Bärchentasse?«
    Frau Stöver zuckte die Achseln. »Glaub nicht. Die Lisa-Marie hat jetzt immer so einen Marienkäferbecher. Der ist auch ganz lieb.«
    Schon glitten die Türen wieder auseinander, und mit einem gemurmelten Gruß stapfte Frau Stöver von dannen. Dabei drehte sie sich noch einmal halb um und schickte mir ein unsicheres, kleines Lächeln.
    Immerhin wusste ich jetzt, welches Gesicht zu der Bärchentasse gehörte. Hätte ich mir ja denken können. Lisa-Marie, das musste also die Kleine, Verhuschte aus der Lohnbuchhaltung sein. Die hatte auch an ihrem Rucksack ein Kuscheltier baumeln und benutzte eine Computermaus in Gummibärchenform.
    »Frau Frank! Die Sonne geht auf!«
    Hoppla. Mein Chef schien beste Laune zu haben. Berger hatte sich sogar den Zipfel seiner Krawatte launig über die Schulter geworfen. Das war ja schon beinahe Rock ’n’ Roll. Und das am Montagmorgen. Was war mit dem los? Hatte es irgendwo einen Fabrikverkauf für Sonnenbrillen gegeben?
    »Frau Frank, ich hätte da was Schönes für Sie.«
    Langsam wandte ich den Blick zu meinem Schreibtisch und schluckte. Der Stapel an Beschwerdepost war so hoch wie überhaupt noch nie. Ich fragte mich, ob seine gute Laune etwas damit zu tun hatte.

    Sie hatte.
    »Der neue Rumänien-Charter«, Berger klopfte sich vergnügt auf die Schenkel, »die Leute wollen für dreihundert Euro zwei Wochen all-inclusive und wundern sich, wenn’s zur Begrüßung keinen Champagnercocktail gibt. Hab ich mir gleich gedacht, dass das nach hinten losgeht. Wollte bloß keiner auf mich hören.«
    Ich fühlte mich plötzlich sehr schwer. Nicht so tiefenentspannt schwer, eher so ich-trage-das-Gewicht-der-Welt-auf-meinen-Schultern-schwer. Das ganze Zimmer war voll dunkler, träger Energie. Voll unerfüllter Wünsche, frustrierter Hoffnungen, ungelebten Lebens.
    Wie ferngesteuert setzte ich mich an meinen Schreibtisch und versuchte, dem Gefühl einen Namen zu geben. Als ich den ersten Brief mit einem scharfen Geräusch aufgeratscht hatte, kam ich drauf.
    Ich hatte Mitleid. Zum ersten Mal seit Beginn meines Berufslebens hatte ich Mitleid mit meinen Quengelkunden.
    Bis zum Mittag hatte ich zwanzig Briefe und ebenso viele E-Mails gelesen. Und noch nicht eine einzige Antwort aufgesetzt. Obwohl nichts dabei war, für das ich nicht den passenden Textbaustein gehabt

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