Mantramänner
tat sie es ganz. Nicht umsonst war sie meine treueste Freundin. Meine älteste. Meine beste.
»Und jetzt bist du wirklich so ganz und gar auf dem Yogaweg?«
»Ich weiß, das klingt komisch. Hätte ich bis vor ein paar Monaten auch nicht gedacht, und ich bin da ja auch mehr zufällig reingeraten. Aber je mehr ich mich damit beschäftige, umso mehr fasziniert mich das ganze Thema.«
Wer oder was genau fasziniert dich eigentlich?, lag mir auf der Zunge, aber ich hielt mich zurück. Stattdessen fragte ich: »Und Steve? Wie findet der das?«
Wieder ein leiser Seufzer. »Ich weiß, das wird noch ganz schön hart. Wenn ich wirklich vegetarisch lebe, jeden Tag meine Übungen mache und morgens um sieben zum Meditieren aufstehe. Ich weiß vor allem nicht, wo ich einen Platz für den Altar schaffen soll. Er sollte nach Norden zeigen, das ist energetisch günstig. Sagt der Siv.«
Ich ging elegant über das Stichwort hinweg.
»Und wo ist das Problem?«
»Na, da steht schon der neue Plasmafernseher. Und den würde Steve sicher nicht wegrücken. Das würde er niemals verstehen.«
Nein, würde er nicht, wollte ich sagen. Weil er nämlich immer noch kein Fremdwörterlexikon hat und keine Ahnung, was energetisch bedeutet.
Doch plötzlich hatte ich eine Sperre im Kehlkopf. So eine winzig kleine Schranke im dritten Chakra von oben, die nichts Gehässiges mehr durchließ. Stattdessen sagte ich etwas ganz anderes. Etwas, das sogar mich selbst überraschte.
»Wenn er dich wirklich liebt«, sagte ich, »dann rückt er sogar den Fernseher für dich weg.«
Wo kam das jetzt her?
Auf Melli hatte es jedenfalls ungefähr die Wirkung, die siebzehnmaliges Absingen eines Schlafliedes auf ein übermüdetes Baby hat. Sie ließ sich raschelnd rückwärts fallen und begann fast augenblicklich so gleichmäßig zu atmen, dass ich mich fragte, ob sie schon auf dem Weg zum Kissen eingeschlafen war.
War sie dann aber doch nicht.
»Gute Nacht«, flüsterte sie.
»Om Shanti«, gab ich zurück.
Unter der Decke grub sich eine weiche Hand einen Tunnel, dann schlüpften Mellis Finger in meine. Klein und zart, fast wie die Hand eines Kindes.
»Du, Evke?«
»Hm?«
»Ach, nichts. Nein, es ist nichts.«
Wir hielten uns noch immer an den Händen. So schliefen wir ein.
AKARNA DHANURASANA
Die Pfeil- und Bogenstellung (Akarna Dhanurasana) trainiert die innere Zielstrebigkeit bei der Bewältigung unserer materiellen, aber auch unserer spirituellen Aufgaben im Hier und Jetzt.
Um zehn vor sieben aufzustehen war nicht so schwer, wie ich dachte. Viel schwieriger war es, beim Morgenyoga nicht wieder einzuschlafen.
Gelegenheiten gab es genügend: Anfangsentspannung, Endentspannung, sogar Zwischenentspannung. Draußen war es grau, irgendwas zwischen Niesel und Nebel, genau das Wetter, um sich so lange im Bett umzudrehen, bis das Aufstehen gar nicht mehr lohnte. Jedenfalls nicht vor dem nächsten Morgen.
Zu sehen gab es auch nichts. Wenigstens nicht für mich. Während Melli sich eigenmächtig in Sivs Fortgeschrittenengruppe eingestuft hatte, mussten wir drei anderen mit der Spitznasigen vorliebnehmen, die uns das Mantra-Matschobst ausgeteilt hatte. Sie hatte einen ulkigen osteuropäischen Akzent. »Chalte deine Chände im fienfundvierzig-Grad-Wienkel zum Kerper«, sagte sie, »dann chann die Energie besser fließen.« Die Übungen kannte ich alle noch aus meiner ersten Probestunde, auch wenn »Ashtanga Yoga« auf dem Programmzettel stand und nicht Hatha Yoga. Wo war jetzt der Unterschied?
Langsam hatte ich den Eindruck, dass diese fernöstliche Gymnastik ähnlich schwer zu durchschauen war wie die männliche Seele.
Wenn wir uns zwischen den Übungen in der »Stellung des Kindes« zusammenrollten, schlaffe Bündel auf allen vieren, entblößte die Frau vor mir jedes Mal ein gewaltiges Arschgeweih mit einem Schriftzug
im Gothic-Stil. Irgendetwas mit O. Vielleicht konnte sie sich ja ein OM daraus machen lassen, passend zu ihrer neuen Lebenseinstellung. War sicher billiger, als das ganze Ding zu entfernen.
Nach der Stunde gab es einen Vortrag über die Kunst der Meditation, um elf wieder abenteuerliches Essen, danach hing ich allein ein bisschen auf dem Zimmer herum. Als ich um kurz vor eins zum Karma Yoga aufbrach, hatte wenigstens der Regen aufgehört.
Aufmunternd nickte ich mir in einem großen Flurspiegel zu. Jeans und Karobluse, ein Stoffschal um den Kopf gebunden, das passte perfekt zu meinem neuen Image. Die naturverbundene, gut geerdete Yogini
Weitere Kostenlose Bücher