Mara und der Feuerbringer
beruhigende Wirkung auf Mara. Sie sah sich um und stellte fest, dass sie direkt auf dem eingelassenen Denkmal saß, auf das sie getreten war. Der Mann schien zu bemerken, wohin sie blickte, und sagte: »Ja, deswegen heißt das hier Geschwister-Scholl-Platz. Habt ihr wohl noch nicht in der Schule durchgenommen, oder?«
Mara schüttelte den Kopf. In dem Moment schien sich der Mann daran zu erinnern, dass er immer noch Maras Handgelenk hielt.
»Oh, entschuldige. Puls ist da. Ich würde mal sagen, du lebst noch, oder was meinst du?« Er lächelte. Dann streckte er ihr die Hand entgegen und half ihr, sich aufzusetzen.
Wortlos ließ sich Mara von ihm hochziehen.
»Na also, geht doch schon wieder ganz gut«, sagte der Mann. »Willst du noch einen Schluck Wasser?«
»Nein, danke«, antwortete Mara. »Und danke für … die Hilfe.«
»Aber das ist doch selbstverständlich, junge Dame. Oh, entschuldige, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Weissinger mein Name. Reinhold Weissinger. Ich bin hier an der Uni Professor für …«
»Germanische Mythologie«, vollendete Mara freudig seinen Satz. Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen! Am liebsten hätte Mara dem Kamikaze-Vogel gedankt, ließ es aber aus mehreren Gründen sein. Einer davon war, dass der Vogel weit und breit nicht mehr zu sehen war …
Der Professor blickte sie mit einer belustigten Mischung aus Neugier und gespieltem Stolz an.
»Hoppla! Nun denn, wenngleich ich mich natürlich geehrt fühle, dass mein Name bis über die Universitätsmauern hinausgedrungen zu sein scheint, muss ich doch gestehen, dass ich neugierig bin, woher du meinen Namen kennst, junges Fräulein.«
»Aus dem Internet!«, antwortete Mara aufgeregt. »Ich war auf der Suche nach jemandem, der sich mit … mit …« Sie verzichtete darauf, das Wort
Spákona
in den Mund zu nehmen, und sagte stattdessen: » … der sich mit germanischen Göttern auskennt und noch lebt.«
Im selben Moment erkannte sie, dass das wohl nicht sonderlich charmant ausgedrückt war, aber der Professor schien es ihr nicht übel zu nehmen – ganz im Gegenteil.
Er grinste, als er sagte: »Nun ja, ein bisschen Zeit hab ich wohl noch. Nicht so viel wie du vielleicht – aber ich hoffe, es genügt, um deine Fragen zu beantworten. Bitte folgen Sie mir in mein Besprechungszimmer, junge Dame.«
Er machte ein schalkhaftes Zuhörergesicht und setzte sich auf den breiten Rand des großen Brunnens. Dann schlug er mit einer überraschend gelenkigen Bewegung die Beine übereinander, schob sich mit dem Zeigefinger die Brille etwas zu tief auf die Nasenspitze und blickte Mara über die Gläser hinweg mit dem übertriebensten Professorenblick an, den sie jemals gesehen hatte.
Mara konnte nicht anders: Sie musste lachen. Es tat ihr richtig gut! Sie setzte sich neben den Professor und überlegte kurz, was genau sie eigentlich fragen wollte.
Dann atmete sie einmal tief durch und sprach: »Also, mein Name ist Mara Lorbeer, ich wohne in der Au, in der Edlingerstraße und … und …«
Eigentlich war es völlig unerheblich, wo sie wohnte, aber irgendwie fühlte sich Mara jetzt besser. Sie hatte das Gefühl, dass sie wieder im Hier und Jetzt angelangt war.
Allerdings war sie immer noch nicht bereit, dem Professor wirklich alles zu erzählen. Und so stellte sie stattdessen erst einmal eine andere Frage: »Also, ich wüsste gerne, wie man … Loki wieder fesseln könnte, wenn er … falls er sich … befreien könnte. Eventuell.«
Wenn ein Gespräch von einem Augenblick auf den nächsten völlig zum Erliegen kommt und keiner mehr ein Wort sagt, hört man plötzlich viele Geräusche, die einem vorher nicht aufgefallen wären.
Mara hörte ein Taxi, das eine nahegelegene Straße entlangfuhr. Sie hörte eine Frau, die schrill und künstlich lachte. Direkt vor Maras Füßen pickte gurrend eine Taube an den Resten einer Gurkenscheibe, wie man sie gerne mal aus dem Hamburger pult. Immer wieder schlug der Schnabel auf die Pflastersteine.
Pok pok. Pok pok. Pokpokpok
.
Professor Weissinger schien währenddessen immer noch damit beschäftigt zu sein, eine Antwort zu finden. Allerdings nicht unbedingt eine Antwort auf Maras Frage, sondern wohl eher eine Antwort darauf, wie ein 14-jähriges Mädchen ausgerechnet auf die Idee kommt, so eine Frage zu stellen! Oder überhaupt irgendwer.
Maras Gedanken rasten. Sie hatte doch nichts Falsches gesagt, oder? Ihn vielleicht beleidigt, ohne es zu bemerken? Aber sie hatte doch nur gefragt, ob …
In
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