Mara und der Feuerbringer
Sigyn in seiner Gewalt! Natürlich, das war die Erklärung!
spürst du die lockende Lust …
Endlich ergab alles einen Sinn. Mara war so aufgeregt von all den Erkenntnissen, die auf sie einprasselten, dass sie im Moment noch nicht einmal Angst verspürte. Natürlich, schrie es förmlich in ihr. Das bedeutet, Loge ist
nicht
gleich Loki, denn Loki ist in der Höhle, Loge ist hier und Sigyn ist bei ihm! Aber eben nicht freiwillig, und das heißt …
Schlagartig verging Mara jeder Gedanke an weitere detektivische Analysen. Sie spürte, wie die schweren Schritte des Feuerbringers näher kamen und gleichzeitig die Flammen glühend heiß in die Luft schossen. Noch war er nicht zu sehen, aber Mara wusste, er würde bald vor ihnen stehen!
Sigyn sah Mara immer noch mit ihrem flehenden Blick an, als ihre Hände von Maras Schultern herabglitten und sich fest um ihre Finger schlossen. Und als Mara Sigyns Händen mit dem Blick folgte, wurden auch die letzten Zweifel an ihrer Theorie ausgelöscht: Lokis Frau trug eine geschmiedete Eisenfessel am rechten Bein, die zudem rötlich glomm, als hätte sie ein Schmied gerade aus dem Ofen gezogen. Mara war sofort klar, dass dies nicht die Art von Fesseln war, die man einfach mit einer Haarnadel öffnen konnte: Sigyn wurde hier von Loge festgehalten wie ein Kettenhund und Mara hatte keine Idee, wie sie der Gefangenen helfen konnte.
Das war des Rätsels Lösung und zugleich die Erklärung für die Vision auf der Rolltreppe: Loge hatte Sigyn entführt und das Letzte, was Loki von seiner Frau sah, war das, was er Mara als Vision geschickt hatte: Ein Feuerwesen, das Sigyn mit sich riss.
Mara spürte Sigyns sanfte Berührung auf ihrem Arm und wollte ihr noch irgendetwas sagen, ihr versichern, dass alles gut würde, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie das jemals erfüllen konnte. Doch da blickte sie auf und sah die gigantische Gestalt von Loge, der mit mächtigen Schritten auf die beiden zugestapft kam und dabei immer größer und größer wurde.
Seine geballten Fäuste glühten vor Wut und seine Augen schnitten weiß brennend durch das rötliche Flackern der Flammen. Und über alldem flüsterten die körperlosen Stimmen nach wie vor unerbittlich den Vierzeiler, der ihn immer gleißender lodern ließ.
»Litilvölva
, kamst zurück, zu kauern vor dem König der Flammen«, ertönte die Stimme des Feuerwesens.
Mara wusste, dass er nun dafür sorgen würde, dass sie nicht noch einmal zurückkehrte. Wie aufgepumpt von der andauernden Wiederholung der Verse schien er vor Kraft fast zu platzen. Diesmal würde er Mara einfach zerschmettern oder zu einem kläglichen Häuflein Asche verbrennen. Oder beides.
Aber anstatt sich voller Furcht neben sie zu ducken, stand Sigyn entschlossen auf und stellte sich Loge in den Weg! In der rechten Hand hielt sie die Holzschale!
Loge aber holte mit beiden Armen weit aus und ließ seine brennenden Fäuste auf Sigyn niederrasen wie einen Dampfhammer. Mara sah noch, wie Sigyn ihre Schale mit beiden Händen fasste und über sich hielt wie einen Schild. Dann schlugen die lodernden Fäuste des Feuerbringers krachend auf sie ein! Niemals würde Sigyn so einen Schlag überleben!
Doch da betäubte ein durchdringendes Zischen ihre Ohren undihr Blick wurde eingenebelt von heißem Wasserdampf. Als sie wieder etwas erkennen konnte, traute sie ihren Augen kaum: Sigyn hatte mit der magischen Schale den Schlag des Feuerbringers tatsächlich abgewehrt!
Wieder trafen die Fäuste auf die Holzschale, und wieder stob eine zischende Fontäne aus kristallklarem Wasser daraus hervor. Fast schien es Mara so, als würden die Arme des Feuerbringers für einen Moment verschwinden. Oder war das nur der immer wieder blitzartig aufwallende Wasserdampf, der den Blick auf die Feuerfäuste verdeckte?
Mara konnte nicht anders als fasziniert zusehen, wie geschickt Sigyn die wütenden Schläge des Feuergottes parierte. Der wurde immer zorniger, doch er drang nicht durch ihre Deckung. Offenbar bekämpften sich die beiden nicht zum ersten Mal und Mara fragte sich unwillkürlich, ob so vielleicht ein Ehestreit zwischen Göttern aussah.
Da drehte sich Sigyn zu Mara herum und rief ihr zu: »Flieh,
Litilvölva
, flieh!«
»Sagen Sie mir, was ich mit Loki tun soll!«, schrie Mara zurück. Diese Antwort überraschte Sigyn und sie drehte sich zu Mara um. Loge nutzte diesen Moment, holte aus und schlug Sigyn mit seiner mächtigen, brennenden Faust zur Seite, sodass die arme Frau mehrere Meter
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