Mara und der Feuerbringer
obwohl sie immer noch in der Höhle stand! Das Ganze bildete mit dem Rest der Höhle eine höchst eigenwillige Inneneinrichtung.
Ein Fenster! Ein Fenster in meine Welt!, dachte Mara aufgeregt. Ich bin in einer Vision und kann dabei in meine Welt schauen!
Da bemerkte sie, wie die Metallrahmen rings um die Deckenpaneele unendlich langsam, aber sichtbar immer weiter nachgaben. Obwohl die Zeit in ihrer Welt wie in Zeitlupe dahinkroch, würden bald die ersten schweren Gipsplatten herabstürzen!
Schon rutschte ein erstes Deckenpaneel quälend langsam aus der Verankerung hoch über Mara und fiel sich überschlagend herab. Dabei zog es einen Schweif aus weißem Gipsstaub hinter sich her, wie die Zeitlupenaufnahme eines quadratischen Kometen auf dem Weg zur Erde …
Okay, in diesem Schneckentempo würde er mindestens fünf Minuten brauchen, bis er auf dem Boden aufschlug. Mara versuchte abzuschätzen, wo die Deckenplatte landen würde … und starrte in Lokis schmerzverzerrtes Gesicht. Als sie vorhin exakt an der gleichen Stelle im Klassenzimmer gestanden hatte, war dort ein anderes Gesicht gewesen: das von Basti! Wenn das Deckenpaneel also auf dem Boden im Klassenzimmer aufschlagen würde und Basti immer noch da lag, wo sie ihn verlassen hatte … Nein!
Wenn sie nun aber sofort zurückspringen würde in die Realität, dann würde auch die Deckenplatte wieder in Echtzeit fallen. Wie sollte sie Basti so schnell wegziehen oder die Platte daran hindern, weiter nach unten zu fallen!? Das war völlig unmöglich!
Oder aber …
Mara fasste einen Entschluss, und bevor sie es sich anders überlegen konnte, war sie schon neben Loki auf die Steine gestiegen und reckte sich dem unpassenden Bild an der Höhlendecke entgegen.
Dabei verdrängte Mara den Gedanken an die Schlange und sah stattdessen nach oben in das Fenster zu der seltsamen Welt, die eigentlich ihre Realität war.
Darauf achtend, dass sie weder Loki noch seine Fesseln berührte, balancierte Mara zwischen seinen gespreizten Beinen auf den Felsblöcken. Die Platte kam immer näher und näher. Wie schwer würde sie wohl sein?
Mara streckte ihre Arme aus. Das Paneel drehte sich immer weiter. Wenn die obere Ecke des Quadrats jetzt gleich nach unten zeigen würde, dann konnte Mara es vielleicht schon greifen. Dann würde sich zeigen, ob das Ganze nur ein Trugbild war und ihre Hände hindurchgleiten würden wie durch ein Gespenst!
Genug überlegt! Mara musste handeln. Also ging sie in die Knie, sprang hoch, streckte sich nach dem Paneel … und ihre Finger glitten einfach hindurch, als wäre dort nichts als feuchte Höhlenluft. Wackelig kam sie wieder auf den Kalksteinen zu stehen und ruderte mit den Armen, um nicht zu fallen.
Es war genau das passiert, was Mara befürchtet hatte. Sie überlegte angestrengt. War das vielleicht das Problem? Vielleicht musste sie viel stärker daran glauben, dass es möglich war, zwischen zwei Welten hochzuspringen und in die andere hinüberzufassen. Egal, wie unglaublich das klang!
Also duckte sich Mara zu einem weiteren Sprung. Sie konzentrierte sich, so gut sie konnte, auf die Gipsplatte und sprang … rutschte aber dabei mit dem rechten Fuß auf dem nassen Stein aus und hatte Mühe, die Balance wiederzufinden.
Doch Mara gab nicht auf. Sie duckte sich ein drittes Mal. Diesmal suchte sie sich nicht nur einen stabilen Stand auf dem Kalkstein, sondernauch einen stabilen Gedanken: Also. Ich stehe ganz offensichtlich in der Vision einer mythologischen Sage zusammen mit einem gefesselten Halbgott auf einem Tropfstein und schaffe es nicht, ein blödes Deckenpaneel aus meinem Klassenzimmer als echt anzuerkennen? Wenn, dann sollte es ja wohl andersherum sein, denn wenn etwas die Bezeichnung Gibtsjagarnichthochtausend verdient hat, dann ja wohl diese Höhle hier mit allem, was drin ist, und sicher nicht diese Gipsplatte! Die kann man nämlich im Baumarkt kaufen! Und was man im Baumarkt kaufen kann, das kann man auch anfassen, jawohl!
Und mit diesem Gedanken schnellte Mara hoch. Diesmal aber sprang sie zur Seite, obwohl sie wusste, dass sie so nicht wieder auf den Felsen landen würde. Dabei streckte sie sich, so weit sie nur konnte, versuchte aber nicht, die Platte zu greifen, sondern schlug stattdessen mit der flachen Hand dagegen … und spürte im selben Moment erleichtert,
dass
sie etwas spürte! Das Paneel wurde aus seiner Bahn geschlagen und für einen Moment schien es, als würde die schwere Platte auch hier in Lokis Höhle
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