Mara und der Feuerbringer
durch die heiße Luft geschleudert wurde. Die Kette spannte sich quer vor Maras schockiertem Blick, und nur daran, dass diese schließlich schlaff zu Boden fiel, erkannte sie, dass Sigyn wohl irgendwo im Feuernebel aufgeschlagen sein musste. Was hatte Mara nur angerichtet!
Der riesige Feuergott stand nun direkt vor ihr. Er musste mindestens die Größe eines einstöckigen Hauses haben, denn seine Faust war größer, als die arme Sigyn von Kopf bis Fuß gemessen hatte. Nun sah Mara auch, warum er aus der Ferne so schwer zu erkennen war: Die ganze Gestalt bestand aus Millionen von winzig kleinen Flämmchen,die wild flackerten, unablässig ihre Form und auch die Position änderten, wenn Loge sich bewegte. Es schien aber nicht, als würde der Körper des Feuerbringers brennen, sondern vielmehr so, als
bestünde
er durch und durch aus diesen Flammen.
Loge hatte sich nun so weit zu Mara heruntergebeugt, dass sie anstatt der Form seines Gesichts nur die vielen einzelnen Flämmchen wahrnahm. Was aus weiterer Entfernung seine Augen bildete, war aus der Nähe betrachtet nur ein verwirrend flackerndes Gewimmel mit einem weiß glühenden Fleck in der Mitte. Mara wurde schwindelig.
Wie gelähmt sah sie zu, als der Feuergott seine gigantischen Pranken hob und höhnisch dröhnte: »Gewarnt hat sie der Feuerbringer, doch weichen will die
Völva
nicht … nun schmecke die Lohe, vergehe in Loges rot lodernder Macht!«
Und mit diesen Worten ließ Loge seine Fäuste auf Mara niedersausen. Mara sprang zur Seite, spürte die Hitze und wusste, dass sie niemals so schnell so weit laufen konnte, dass die riesigen Fäuste sie nicht spätestens beim dritten Versuch zermalmen würden. Doch da schlitterte etwas aus dem Feuernebel über den Boden auf sie zu und stieß klappernd an ihren Fuß: Sigyns Holzschale!
Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, riss Mara die Schale in die Höhe und stemmte sie dem Feuergott entgegen. Und das keinen Moment zu früh, denn schon ließ dieser wieder seine Fäuste auf sie niedersausen. Mara spannte all ihre Muskeln an, biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu. Etwas über ihr explodierte und raubte Mara für einen kurzen Moment die Sinne.
Danach passierte erst einmal gar nichts. Oder lag es daran, dass ihr Gehör von dem dampfenden Zischen betäubt war? Nein, sie hörte doch deutlich das dumpfe Prasseln der Flammen! Und etwas fehlte: Die Geisterstimmen mit dem Vers waren verstummt. Aber warum griff sie der Feuergott nicht sofort noch einmal an oder beschimpfte sie wenigstens weiter?
Mara wagte es, die Schüssel ein Stück sinken zu lassen, aber mit dem Anblick, der sich ihr nun bot, hatte sie nicht im Entferntesten gerechnet: Vor ihr stand der Feuergott und starrte mit einem verwundert bis dümmlich zu nennenden Blick auf seine Arme. Oder besser auf die Stelle, wo seine Arme endeten. Denn dort, wo eben noch seine brennenden Fäuste gelodert hatten, war nun … gar nichts. Loge blickte auf die flackernden Stümpfe am Ende seiner Unterarme, und ihm war anzusehen, dass auch
er
damit nicht gerechnet hatte.
Bildete Mara es sich ein oder hörte sie Sigyns Stimme von irgendwoher durch den Feuernebel dringen? War das wirklich ein Lachen? Ja, natürlich! Und da sah sie die Frau auch schon undeutlich durch den Flammenschleier auf sie zukriechen.
Auch ohne sie klar erkennen zu können, wusste Mara sofort, dass Sigyn verletzt war. Aber das Lachen der Frau war ebenso klar und deutlich, als sie Mara mit spürbarer Freude in der Stimme zurief: »Nie wieder wird er dich nun kleine
Völva
nennen, und ich auch nicht mehr, das schwöre ich! Haha! Du bist klein von Wuchs, aber groß in deiner Kraft! Aber nun geh, geh zu meinem Mann, und denk nicht mehr an mich!«
Mara wollte ihr die Holzschale zuwerfen, aber Sigyn winkte energisch ab: »Nein, nein, ohne dies kannst du Lokis Pein nicht lindern! Denk nicht mehr an mich, sag ich dir, und nun rasch, bevor die Gebete wiederkommen!
Verschwinde!
«
Maras Gedanken rasten nur so durch ihren Kopf, aber Sigyn sprach so eindringlich und das Flehen in ihrer Stimme war so unerträglich, dass Mara die Holzschale an ihren Bauch presste und sich mit aller Kraft auf Loki und seine Höhle konzentrierte. Sie schickte noch ein letztes Dankeschön an Sigyn, ohne zu wissen, ob sie es wirklich wahrnehmen würde, und kniff die Augen zusammen.
Als Mara die Augen wieder öffnete, meinte sie für einen Moment, ihr Herz stolpern zu hören: Vor ihr lag Loki und er schrie wieder unter den
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