Mara und der Feuerbringer
Schmerzen des Giftes. Die Schlange hatte sich offenbar an ihren Platz zwischen den Tropfsteinen zurückgezogen und vergnügte sich weiter mit ihrem Opfer. Bedeutete das, dass auch ihre Klasse wieder von den Schreien gepeinigt wurde? Oder hatte Loki die Verbindung zu ihnen vorhin unterbrochen und nicht wieder aufgenommen?
Ohne länger zu zögern, sprang Mara zu dem Halbgott und fing das glitzernde Rinnsal mit Sigyns Schale auf. Dabei gab sie sich alle Mühe, nicht an das fürchterliche Reptil zu denken, das sich irgendwo über ihr in den Schatten wand. Und es funktionierte: Die Schale fing das ätzende Gift auf, ohne Schaden zu nehmen, und Loki verstummte mit einem tiefen Seufzer.
Einen Moment lang geschah gar nichts und Mara konnte zusehen, wie die Wunden in Lokis Gesicht und auf seiner Hand verschwanden, als wären sie nie dagewesen.
Dann erst öffnete der Halbgott langsam seine Augen. Als er eine Gestalt über sich spürte, erhellte sich sein Blick. Trotz seiner schwarzen Pupillen spürte Mara so etwas wie Wärme, als er ansetzte: »Sig…«
Doch als er erkannte, dass es nicht seine Frau war, die ihn vor dem Gift schützte, legte er seine Stirn in Falten: »
Litilvölva
…«, sagte er mit einer sanften Stimme, die Mara völlig überraschte. »Bist du die, die mein Rufen hörte?«
»Ich … ich glaube schon!«, antwortete Mara unsicher, denn ihr war äußerst mulmig zumute.
Sie konnte im Moment kaum einen klaren Gedanken fassen. Zu viele davon tummelten sich hinter ihrer Stirn und winkten beidhändig, um ja als Erster drangenommen zu werden. Ganz besonders heftig meldete sich allerdings eine Ungewissheit vorne in der ersten Bank.
»Ähm, ich will Ihnen gerne alles erklären, was ich weiß, aber bittedarf ich mich nur für einen Moment auf etwas anderes konzentrieren, Herr … äh … Loki? Es geht auch bestimmt ganz schnell, hoffentlich …«, stammelte Mara etwas ungelenk und achtete darauf, die Holzschale nicht von der Stelle zu bewegen.
»Solange du mir die Pein des Schlangengiftes ersparst, bin ich gerne bereit, meinen Mund stillzuhalten, als wäre er mir nochmalig zugenäht«, sprach Loki, und irgendetwas an dem Wort
nochmalig
ließ eine dunkle Ahnung in Mara aufsteigen, die sie aber sofort niederkämpfte, um sich auf ihre jetzige Aufgabe zu konzentrieren.
Sie warf einen letzten Blick auf die Holzschale. Dann erst wendete sie sich ab, um einen der kürzeren Kalksteine auf dem Boden zu fixieren.
Du
bist jetzt Basti und
ich will dich sehen
, dachte Mara und war überrascht, wie logisch es sich anhörte und wie einfach es letztlich war, wenn man erst einmal wusste, wie es ging. Prompt verschwand ein Teil der Höhle vor ihr und sie sah Basti vor sich auf dem Boden des Klassenzimmers liegen. Behutsam erweiterte sie ihren Wunsch auf die anderen Schüler, und tatsächlich öffnete sich das Tor in ihre Welt ganz kontinuierlich, genauso wie sie es wollte. Trotzdem blieb der Rest der Höhle um Mara bestehen und sie sah auch Loki neben sich, der aber anscheinend nichts von alldem mitbekam. Stattdessen schaute er an die Decke auf die Tropfsteine und summte zu allem Überfluss auch noch eine seltsam fröhliche Melodie, ganz so, als wäre er nicht an diese Steine gefesselt, sondern würde irgendwo an einem Pool im Liegestuhl sitzen.
Mara verdrängte den Gedanken an Eistee mit Eiswürfeln und konzentrierte sich darauf, das Bild vor ihr hin und her zu bewegen, damit sie sehen konnte, wie es ihren Klassenkameraden ging.
Kurz war sie geschockt, denn niemand schien sich mehr zu bewegen unter dem Schutt und den zerbrochenen Resten der herabgefallenen Deckenpaneele. Doch als sie etwas länger hinsah, bemerktesie, dass sich der Staub in der Luft kaum merklich bewegte, und auch unter all den umgefallenen Bänken und Stühlen regte es sich. Allerdings so unendlich langsam, dass die Bewegung fast nicht zu sehen war. Natürlich, die Zeitverzögerung zwischen den Welten!
Sie musste tatsächlich eine geschlagene Minute auf eine Stelle starren, um überhaupt zu sehen, dass sich etwas tat. Erleichtert stellte sie schließlich fest, dass die Beben tatsächlich aufgehört hatten und ihre Mitschüler wohl mit dem Schrecken davongekommen waren. Die Ersten waren schon damit beschäftigt, sich aufzurappeln oder sich mit verwirrten Blicken umzusehen, was in Zeitlupe übrigens ziemlich wunderlich aussah.
Mara atmete tief durch. Für den Moment hatte sie es also tatsächlich geschafft! Sie hatte alle gerettet. Okay, bis auf Sigyn vor
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