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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ein sauberes, aber
schmuckloses Zimmer. Auf dem Boden lag ein abgetretener Bastteppich. Über dem
Bett hingen nicht die üblichen Pin-up-Girls, sondern künstlerische Fotos von
Ruinen. Im Regal standen düster aussehende Bücher. Auf dem Bett lag ein
Aktenordner mit Schriftstücken, auf dem weißen Holztisch Zeitungen und über
einer Stuhllehne Kleider. Vom Kaminsims lächelte eine Frau mittleren Alters
zwischen dem Wecker und ein paar Nippes. Ein gezwungenes Lächeln. Sicher hatte
man ihr mit einer Stecknadel in den Hintern gestochen, während sie fotografiert
worden war. Sie sah dem Brillenträger vor mir ähnlich.
    Er schloß die Tür hinter sich
und sprach weiter.
    „...Eins möchte ich mal gerne
wissen...“
    „Und das wäre?“
    „Ob man mich bald damit in Ruhe
lassen wird.“
    Ich machte eine weitausholende
Geste:
    „Der Ruhm fordert seinen Preis,
Monsieur. Eine Leiche entdecken...“
    „Hätte drauf verzichten
können...“
    Müde rieb er sich das Kinn.
Bartstoppeln färbten die Wangen dunkel. Der Junge war höchstens dreiundzwanzig
Jahre alt, sah aber älter aus, schrecklich alt. Er war korrekt gekleidet, aber nicht
sehr sauber. Seine sorgenvolle hohe Denkerstirn, wahrscheinlich vollgestopft
mit unnützen Dingen, verstärkte das seltsame, undefinierbare Gefühl, das man in
seiner Gegenwart hatte.
    Er sprach weiter:
    „...das heißt also, Sie können
mir keine Antwort geben?“ Ich lächelte:
    „Sie sind nicht Martine
Carol... Morgen wird man Sie vergessen haben... Ich bin bestimmt der Letzte,
der Sie mit dieser Geschichte belästigt.“
    „Um so besser. Dann wollen
wir’s so schnell wie möglich hinter uns bringen. Übrigens, was ich zu erzählen
habe... Sie brauchen wohl noch einen Artikel, hm? Hätte nie gedacht, daß
Journalisten von so wenig leben können. A propos, welche Zeitung?“
    „ Crépu.“
    „Crépu?“
    „Crépuscule.“
    „Ach ja. War nicht schon jemand
von Ihnen hier?“
    „Möglich. Aber ich schreib für
die Wochenendbeilage, für die Provinz...“
    „Und Ihr Name?“
    „Dalor.“
    „Kenn ich nicht.“
    „Ich signiere nie oder nur
selten. Außerdem schreib ich vor allem für die Beilage. Sagte ich ja schon. Und
genau dafür will ich jetzt einen langen Artikel schreiben. Sie werden
verstehen, der Mord an einem Pfandleiher, das ist die Sensation!
Schillernde Persönlichkeit usw. Dazu noch die pikanten Einzelheiten... Ich will
den Artikel unbedingt schreiben. Und wenn Sie mir die notwendigen Einzelheiten
dafür liefern... ich meine die richtigen..., soll das Ihr Schaden nicht sein.
Wird gut bezahlt und...“
    Er unterbrach mich
unfreundlich:
    „Mich interessiert nur eins:
Man soll mich in Ruhe lassen. Ich brauch Ihr Geld nicht.“
    „Natürlich nicht, M’sieur.
Werden Sie nicht gleich böse Ich hüstelte.
    „...nicht gleich böse. Ich
wollte Sie nicht beleidigen.“
    „Schon gut. Aber verdammt
nochmal! Sie werden verstehen, daß einem dabei der Kragen platzen kann. Wird
eigentlich immer so viel Theater gemacht, wenn jemand das Pech hat, einen Ermordeten
zu finden?“
    „Wenn der Ermordete so sehr aus
dem Rahmen fällt, ja. Ich sagte Ihnen doch schon: ein Pfandleiher, das ist eine
schillernde Persönlichkeit.“
    Resigniert hob er die
Schultern:
    „Bringen wir’s also hinter uns.
Ich werd Ihnen meine kleine Geschichte liefern. Aber ich sag’s Ihnen gleich:
ich kann Ihnen nicht mehr erzählen als der Polizei oder Ihren Kollegen.“
    „Fangen Sie erst mal an.“
    Das, was er mir erzählte, hatte
ich tatsächlich schon in den Zeitungen gelesen. Er war also zu Cabirol gegangen...
    „...Um etwas zu versetzen,
nehme ich an?“ warf ich ein. Ohne sich gleich wieder aufzuregen, sagte er
höflich, aber bestimmt:
    „Müssen wir unbedingt über mein
Privatleben reden?“
    „Nein, aber wissen Sie, ich war
in meinem Leben auch schon mal abgebrannt. Bin’s noch
öfter, als es mir lieb ist. Das hat doch nichts Schlimmes an sich. Aber fahren
Sie bitte fort.“ Er erzählte seine Geschichte zu Ende.
    „Schön“, sagte ich dann. „Und
Ihnen ist nichts weiter aufgefallen, was Sie vielleicht der Polizei nicht
erzählt haben? Sie wissen doch, hm? Eine unwichtige Kleinigkeit, an die man im
Augenblick nicht denkt, die einem erst später wieder einfällt...“
    Er schüttelte den Kopf:
    „Ich sehe, Monsieur Dalor“,
grinste er, „Sie sind enttäuscht. Aber ich hatte Sie gewarnt.“
    „Trotzdem vielen Dank, Monsieur
Badoux.“
    Er öffnete die Tür, ich ging
hinaus. Zum Abschied

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