Marathon
Leben.
8
Es war viel schneller
gegangen, als Remmer geglaubt hatte. Schon auf dem Weg durch das
allmorgendliche Verkehrschaos der Stadt ins Polizeipräsidium
hatte die Leitstelle sie nach Neuehrenfeld umgeleitet. Das Bild in
der Zeitung war von einer Nachbarin und zwei Arbeitskollegen
identifiziert worden. Remmer hatte sich darüber gewundert,
dass kein Familienangehöriger unter den Anrufern gewesen
war.
Auch über den
alten Citroën gab es schnell Klarheit: Er war vor zwei Tagen
bei einem Gebrauchtwagenhändler gestohlen worden.
Als Remmer in der
Eichendorffstraße in Neuehrenfeld ankam, war die
Spurensicherung noch nicht da. Stattdessen hatte sich Gröber
mitten auf die Straße gestellt. Wieder kein Parkplatz. Sie
parkte ihr Auto hinter dem des Kollegen. Vor der Haustür stand
ein Beamter, der sie in den dritten Stock führte.
»Es ist im
Wohnzimmer«, sagte er mit belegter Stimme.
»Was ist im
Wohnzimmer?«, fragte sie erstaunt.
»Das
Blut«, stammelte der Kollege.
Über den langen
Flur der schönen Altbauwohnung erreichten sie das Zimmer.
Gröber stand in der Tür, so als wenn er zu viel Respekt
gehabt hätte, den Raum zu betreten. Er begrüßte
Remmer mit einem Nicken.
»Du wolltest
doch eine Überstunde abfeiern?«, fragte sie
spitz.
»Hab ich nicht
vergessen. Mache ich gleich.«
»Gleich?«
»Eine
Stunde.«
»Was hast du vor
in dieser Stunde?«
Gröber ignorierte
die Frage und zeigte auf das Kanapee in diesem stilvoll
eingerichteten Zimmer mit herrlich hohen Stuckdecken.
»Hier hat er
wohl gesessen, unser Toter.«
Das Sofa war komplett
vom Blut des toten Mannes durchtränkt, so viel Blut, dass es
durch das Sofa auf den Parkettboden gelaufen war.
»Eine
Schlachtbank«, flüsterte Gröber.
Er erinnerte sich an
das Gesicht, dem er gestern Abend in die Augen gesehen
hatte.
»Der saß
da in der Ecke seines Sofas und hat nicht verstanden, was mit ihm
passierte, und hat ungläubig voller Entsetzen seinen
Mörder angeglotzt«, spekulierte Remmer.
Fast synchron wanderte
der Blick der Kriminalbeamten von dem Kanapee zur großen
weißen bilderlosen Wand. Zwei rote Ziffern waren mit Sorgfalt
auf die Wand gemalt worden, akkurat und exakt. Sie wirkten wie eine
Dekoration, die zur Einrichtung dieses Zimmers gehörte. Zwei
genau gleich große Einsen prangten hinter dem Sofa, auf dem
der Tote gesessen haben musste, während er verblutete. Eine
Elf.
Ohne etwas anzufassen,
begannen die beiden die Wohnung in Augenschein zu nehmen.
Außer ein paar Scherben auf dem Boden bemerkten sie nichts
Auffälliges. Alle Räume waren sauber und
aufgeräumt.
»Da siehst du
mal, was man aus einer Wohnung so alles machen kann«, sagte
Remmer und stieß dem Kollegen, der völlig in Gedanken
versunken schien, in die Rippen. »Eine einladende, elegant
eingerichtete Behausung, an der man sich jeden Abend erfreuen
konnte, wenn man nach Hause kommt. Was meinst du? Das ist eine
Wohnung, in der man auch mal gerne Besuch
empfängt.«
Sie fand die Wohnung
zu durchgestylt und viel zu sauber. Aber immerhin: Das war im
Gegensatz zu Gröbers Behausung, in der sie bislang nur aus
sicherer Entfernung vom Haustürrahmen aus einen Blick auf
Umzugskartons werfen durfte, eine Wohnung, in der man sich nicht
nur notgedrungen mangels Alternative aufhielt, sondern eine, in der
es sich täglich durchaus mehrere Stunden leben
ließ.
Gröber sagte
nichts. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass er ihr Recht
gab. Sie versuchte sich wieder auf den Grund ihres Besuchs zu
konzentrieren und begann ein zweites Mal damit, alle Zimmer
abzugehen. Irgendwas machte sie stutzig.
»Wie lange hat
der Typ wohl in dem Kofferraum gelegen?«, fragte sie im
Vorbeigehen.
Gröber wusste
nicht, worauf sie hinaus wollte. »Schwer zu sagen. Vielleicht
einen Tag.«
»Vorgestern
Abend ermordet, gestern gefunden, und heute sind wir hier. Macht
mindestens dreißig Stunden.« Remmer drehte eine Runde
um ihren Kollegen. »Riechst du?«
»Was?«
»Stinkst
du?«, fragte sie lächelnd.
Hatte ihn die
Anspielung auf seine Wohnsituation offenbar noch ziemlich kalt
gelassen, reagierte er jetzt deutlich genervt.
»Was willst
du?«
Er schien nur langsam
zu begreifen. Irgendwas stimmte hier nicht. In den immer noch
starken Geruch nach Blut mischte sich schwach, aber deutlich
bemerkbar der Gestank von Schweiß. Würde er vom
Mörder oder von dem Toten stammen, müsste er in dieser
Wohnung, in der alles darauf hindeutete, dass sie nicht nur
regelmäßig
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