Marcel Proust fuer Boshafte
Form angenommen, selbst außerhalb der dem Sport gewidmeten Stunden, eine Form, die sich nicht mehr in Lässigkeit, sondern in einer fieberhaften Lebhaftigkeit zeigt, die der Langeweile weder Zeit noch Raum zur Entwicklung zu lassen wähnt.
SZ 7, 9
Ich hatte bereits bei verschiedenen Personen bemerkt, daß das Zurschautragen lobenswerter Gefühle nicht die einzige Art ist, schlechte zu verbergen, sondern daß eine neue Methode im offenen Bekennen letzterer besteht, wobei man dann wenigstens nicht den Anschein erweckt, als wolle man etwas verbergen.
SZ 7, 66
Für die Börse ist jeder kranke Souverän, ob es sich nun um Edward VII . oder Wilhelm II . handelt, bereits verstorben, jede Stadt, die belagert wird, auch schon eingenommen.
SZ 7, 70
Doch häßliche und prunkvolle Dinge können sehr nützlich sein, denn sie genießen bei Leuten, die uns nicht verstehen, die unseren Geschmack nicht teilen und in die wir uns vielleicht verlieben, ein Ansehen, die ein stolzes Objekt, das seine Schönheit nicht preisgibt, nicht hätte. Nun sind aber diejenigen, die uns nicht verstehen, die einzigen, bei denen es uns von Nutzen sein kann, ein Ansehen zu besitzen, das uns bei edleren Seelen allein unsere Intelligenz verschafft.
SZ 5, 248
Es ist furchtbar, wenn man die Existenz einer anderen Person an sich geheftet sieht wie eine Bombe, die man festhalten muß und nicht fallen lassen darf, ohne ein Verbrechen zu begehen.
SZ 5, 254
Und es fällt uns schwer, an Laster zu glauben, so wie wir nie und nimmer an die Genialität eines Menschen glauben können, mit dem wir noch am Tag zuvor in der Oper gewesen sind.
SZ 5, 321
Es ist mit der Gesellschaft wie mit sexuellen Neigungen, bei denen man nie weiß, in welche Perversionen sie ausarten können, sobald erst einmal ästhetische Gründe für ihre Wahl ausschlaggebend werden.
SZ 5, 334
»Ah!« rief Monsieur de Charlus, als er sah, daß Morel da war, und ging auf den Musiker mit der Beschwingtheit eines Menschen zu, der umsichtig seinen ganzen Abend auf die Begegnung mit einer Frau ausgerichtet hat und nun in seinem Freudenrausch nicht ahnt, daß er selbst sich die Falle gestellt hat, wo ihn die von dem Ehemann hierzu bestellten Männer vor aller Welt ergreifen und verprügeln werden.
SZ 5, 452f.
Und so heuchlerisch sind auch die ehrlichsten Menschen, so sehr stellen sie im Gespräch mit einem anderen ihre Meinung über ihn zurück, zu der sie sich doch gleich wieder bekennen, wenn er nicht mehr anwesend ist, daß meine Eltern Swanns Heirat zusammen mit Vinteuil im Namen von Prinzipien und Konventionen beklagten, deren Verletzung in dessen eigenem Haus in Montjouvain sie (dadurch, daß sie gemein
sam mit ihm unter rechtschaffenen Leuten vom gleichen Schlag ihre Gültigkeit verfochten) stillschweigend übergingen.
SZ 1, 219
Jede »Neuerwerbung«, die die Verdurins nicht davon überzeugen konnten, daß die Abendgesellschaften der Leute, die nicht bei ihnen verkehrten, todlangweilig seien, sah sich gleich wieder ausgeschlossen.
SZ 1, 274
Dreiviertel der Spesen an Geist und Eitelkeitslügen, die seit Erschaffung der Welt von Leuten gemacht worden sind, die sich dadurch nur selbst herabsetzen konnten, sind für sozial Untergeordnete aufgewendet worden.
SZ 1, 279
Alles in allem erschien ihm das Leben, das man bei den Verdurins führte und das er so oft als das »wahre Leben« bezeichnet hatte, jetzt als das schlimmste von allen und ihr kleiner Kreis als ein unvorstellbar niedriges Milieu. Er ist wirklich, dachte er bei sich, die unterste Stufe auf der sozialen Leiter, der letzte Dantesche Höllenkreis. Kein Zweifel, daß der erhabene Text sich auf die Verdurins bezieht!
SZ 1, 416f.
Und Madame Cottard nahm ihre weiß behandschuhte Rechte aus dem Muff, um sie Swann zu reichen, ein Umsteigefahrschein entflatterte ihr, eine Vision von »high-life« erfüllte den Omnibus, mit dem Geruch von Fleckenwasser vermischt.
SZ 1, 544
So glich der Salon der Swanns jenen Hotels in Badeorten, in denen die Depeschen ausgehängt werden.
SZ 2, 125
Ein und dasselbe Wesen bewegt sich, wenn man es in aufeinanderfolgenden Phasen des Lebens betrachtet, auf verschiedenen Sprossen der sozialen Stufenleiter in Milieus, die nicht unbedingt immer höher angesiedelt sind, und jedesmal, wenn wir in einer neuen Daseinsperiode zu einem bestimmten Milieu Bande neu oder wieder knüpfen, plätschern wir behaglich darin und fangen ganz selbstverständlich an, menschlich Wurzeln zu
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