Marco Polo der Besessene 1
selbstverständlich nicht gerade dazu beitrug, Maistro Attilio von seiner Meinung abzubringen, dass Zia Zulia es fertiggebracht habe, das erste schwarze Schaf in der Familie Polo heranzuziehen.
Man könnte meinen, dass die Hafenrangen etwas dawider gehabt hätten, einen »reichen Jungen« an ihren Streichen teilnehmen zu lassen, und auch die »Herablassung« verübelt hätten, die sich in meinen Gaben an sie ausdrückte. Das war jedoch nicht der Fall. Die popoläzo mag die lustrisimi bewundern oder beneiden oder gar beschimpfen; ihr wirklich empfundener Groll und Haß jedoch gilt denen, die genauso arm sind wie sie, denn die sind schließlich ihre Hauptkonkurrenten in dieser Welt. Nicht die Reichen sind es, die sich mit den Armen um die Reste auf dem Fischmarkt balgen. Als ich daherkam und gab, was ich geben konnte, ohne etwas zu nehmen, duldeten die Hafenrangen meine Gegenwart sehr viel gutwilliger, als wenn ich nur ein weiterer hungriger Betteljunge gewesen wäre.
Einfach um mich daran zu erinnern, dass ich nicht zum popolazo gehöre, stattete ich der Compagnia Polo ab und zu einen Besuch ab und schwelgte in den dort herrschenden betörenden Gerüchen sowie der Geschäftigkeit und der allgemeinen Atmosphäre von Wohlstand. Bei einem dieser Besuche fand ich auf Schreiber Isidoros Pult einen Gegenstand, der aussah wie ein Ziegelstein, jedoch eine stärker schimmernde rote Färbung aufwies und auch leichter war als ein solcher, dazu weich und irgendwie feucht, wenn man ihn anfaßte. Ich fragte, was das denn sei.
Wieder rief er sein »Meiner Treu!«, schüttelte das graue Haupt und sagte: »Ja, erkennst du denn nicht mal, worauf der Reichtum deiner Familie sich gründet. Der wurde nämlich auf diese Safranziegel aufgebaut.«
»Oh!« sagte ich voller Hochachtung und ließ den Blick auf dem
Ziegel ruhen. »Und was ist Safran?« »Mefe! Da hast du es dein Leben lang gegessen und gerochen und getragen! Safran ist dasjenige, was dem Reis und der Pasta ihren charakteristischen Geschmack und ihre gelbe Farbe verleiht. Was Stoffe so einzigartig gelb färbt. Und den Salben und Pomaden der Frauen ihren besonderen weiblichen Duft gibt. Auch der medego verwendet es bei der Herstellung seiner Arzneien, doch was es darin bewirkt, weiß ich nicht.«
»Oh!« wiederholte ich, und meine Hochachtung vor einem solchen Allerweltsartikel war nicht mehr ganz so hoch. »Ist das alles?«
»Alles!« entfuhr es ihm geradezu prustend. »Hör mir mal gut zu, Marcolfo!« Marcolfo ist nicht gerade eine Koseform meines Namens; man meint damit einen ganz besonders dummen und beschränkten Jungen. »Der Safran hat eine Geschichte, älter und edler selbst als die Venedigs. Längst ehe es Venedig gab, haben Griechen und Römer den Safran benutzt, um ihre Bäder
zu parfümieren. Sie verstreuten es überall auf dem Fußboden,
um ganze. Räume mit Wohlgeruch zu erfüllen.
Als Kaiser Nero seinen Einzug in Rom hielt, waren die Straßen
der gesamten Stadt mit Safran bestreut, damit es überall gut
roch.«
»Nun«, sagte ich, »wenn es denn immer und überall so leicht
erhältlich war...«
»Es mag damals, als selbst Sklaven zahlreich waren und nichts
kosteten, nichts Besonderes gewesen sein«, sagte Isidoro.
»Aber heute ist Safran alles andere als etwas Gewöhnliches.
Safran ist selten und deshalb überaus wertvoll. Dieser eine
Ziegel, den du hier siehst, ist einen Goldbarren von fast gleicher
Größe wert.«
»Wirklich?« sagte ich, und das klang vielleicht nicht recht
überzeugt. »Aber warum denn?«
»Weil dieser Ziegel das Ergebnis von Arbeit und Mühe vieler
Hände sowie unendlich vieler zonte Land und ungezählter
Millionen von Blüten ist.«
»Blüten«
Maistro Doro seufzte tief auf und sagte ungeduldig: »Es gibt
eine violette Blume namens Krokus. Öffnet sich ihre Blüte,
recken sich die oberen Teile von drei zarten und orangeroten
Fruchtknoten in die Höhe.
Eben diese Narben, wie sie auch heißen, werden behutsam
von Menschenhand entfernt. Hat man Millionen solcher Narben
zusammen, die so zart sind, dass man sie kaum zu fassen
bekommt, werden sie entweder getrocknet und es wird loser
oder so genannter Heusafran daraus, oder sie werden, wie man
es nennt, ›zum Schwitzen‹ gebracht und zusammengepreßt,
und es wird ein Safranziegel daraus wie dieser. Das zur
Verfügung stehende Ackerland darf zu nichts anderem als zum
Krokusanbau verwendet werden, und Krokus blüht auch nur
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