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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Sprache. Nirgends in der Welt habe ich es erlebt, dass Männer einander begegnen und sich mit dem frohen Ruf »Che bon vento?« begrüßen, was soviel bedeutet wie: »Welch guter Wind?« und für einen Venezianer soviel heißt wie: »Welch guter Wind hat Euch über das Meer ins glückliche Venedig geführt?«
    Ubaldo Tagiabue und seine Schwester Doris sowie die anderen Hafenrangen kannten eine weit bündigere und knappere Begrüßung, doch Salz enthielt auch diese. Sie sagten einfach: »Sana capäna«, die Kurzform einer Begrüßung »auf die Gesundheit unserer Gesellschaft«, wobei wie selbstverständlich die Gesellschaft von Hafenrangen gemeint ist. Nachdem wir uns einige Zeitlang kannten, fingen sie an, mich mit diesen Worten zu begrüßen; da wußte ich, dass ich dazugehörte, und darauf war ich stolz.
    Diese Kinder lebten wie eine Schar Quairatten im modernden Rumpf eines Treidelkahns, der im seichten Schlamm vor jener Seite der Stadt vertäut lag, die auf die Tote Lagune und weiter in der Ferne auf San Michiel, die Toteninsel, hinausgeht. Im Inneren dieses dunklen und feuchten Schiffsleibs hielten sie sich freilich nur dann auf, wenn sie schliefen, denn wenn sie das nicht taten, waren sie gezwungen, sich auf die Suche nach Nahrung und nach Kleidung zu begeben. Sie lebten fast ausschließlich von Fisch; denn wenn es ihnen auch nicht gelang, anderes Eßbares zu stehlen, so konnten sie doch am Ende eines jeden Tages zum Fischmarkt eilen, da nach venezianischem Gesetz die Fischhändler zu einer bestimmten Stunde alle ihre Waren auf den Boden werfen mußten; auf diese Weise sollte verhindert werden, dass jemals andere als wirklich frische Ware verkauft wurde. Deshalb gab es dort immer eine Schar armer Leute, die sich um diese Reste und Überbleibsel balgten, unter denen freilich selten schmackhaftere Fische zu finden waren.
    Ich brachte meinen neuen Freunden alles, was ich daheim an Resten von der Tafel ergattern oder aus der Küche stehlen konnte. Auf diese Weise bekamen die Kinder jedenfalls immer dann etwas Gemüse, wenn es mir gelang, so etwas wie kohlgefüllte Ravioli oder Rübensirup zu entwenden, Eier und Käse, wenn ich ihnen einen maccherone brachte, sowie sogar gutes Fleisch, wenn es mir gelang, ein bißchen Mortadella oder Schweinssülze mitgehen zu lassen. Ab und zu brachte ich ihnen einen Leckerbissen, über den sie sich gar nicht genugtun konnten. Ich war immer überzeugt gewesen, dass der Baba Natale oder Weihnachtsmann allen venezianischen Kindern die traditionelle Torta di Lasagna brachte. Doch als ich Ubaldo und Doris einmal zum Christfest davon brachte, gingen ihnen fast die Augen über, und sie brachen bei jeder Rosine und jedem Pinienkern, jeder eingemachten Zwiebel und kandierter Orangenschale in helle Rufe des Entzückens aus.
    Auch an Kleidern brachte ich ihnen, was ich konnte – Abgetragenes oder Dinge, aus denen ich herausgewachsen war, für die Jungen und für die Mädchen Sachen, die meiner verstorbenen Mutter gehört hatten. Nicht alles paßte jedem, doch das machte ihnen nichts aus. Doris und die anderen drei oder vier Mädchen stolzierten in Umschlagtüchern und Gewändern einher, die so groß waren, dass sie mit den Hacken auf die Säume traten. Für meinen eigenen Gebrauch, wenn ich mit den Hafenrangen zusammen war, brachte ich ein paar von meinen alten Röcken und Hosen, die so abgewetzt waren, dass Zia Zulia sie in jenen Abfalleimer geworfen hatte, in dem sie die Putzlumpen für den Haushalt verwahrte. Ich zog also aus, was ich an feinen Kleidern angehabt hatte, als ich das Haus verließ, zwängte sie zwischen die Spanten des alten Kahns, zog die zerrissenen Lumpen an und war so lange nicht von den anderen zu unterscheiden, bis es Zeit wurde, sich abermals umzuziehen und nach Hause zu gehen.
    Vielleicht fragt sich der Leser, warum ich den Kindern an Stelle meiner mageren Geschenke kein Geld gab. Dabei gilt es zu bedenken, dass ich genauso sehr ein Waisenkind war wie sie und unter strenger Vormundschaft stand; um mich aus den Truhen der Familie Polo zu bedienen, war ich noch viel zu jung. Das Haushaltsgeld wurde uns vom Geschäft zugeteilt, das heißt, von dem Schreiber Isidoro Priuli. Wann immer Zulia oder der Maggiordomo oder irgendein anderer Bediensteter irgendwelche Vorräte oder sonstwas für die Casa Polo kaufen mußte, war er oder sie gezwungen, in Begleitung eines Pagen vom Geschäft auf den Markt zu gehen. Dieser Pagenjunge trug die Börse bei sich, zählte die

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