Marco Polo der Besessene 1
Beschäftigung nachgehen, nichts anderes kennen als Betrügereien und Degenstechereien und keinen anderen Ehrgeiz haben, als sich hier und da einen Dukaten zu verdienen, indem sie einen heimlichen Mord begehen. Manchmal werden sie von Politikern dazu gedungen, die auf einen bestimmten Posten nicht erst lange warten wollen, oder aber von Kaufleuten, die auf die leichteste Weise einen Konkurrenten aus dem Weg schaffen möchten. Häufiger werden die Dienste der bravi ironischerweise von irgendwelchen Liebhabern in Anspruch genommen -denen daran gelegen ist, irgendwelche Hindernisse auf dem Weg zu der Geliebten, wie etwa einen unbequemen Ehemann oder eine eifersüchtige Gattin, beiseite zu räumen. Sieht man tagsüber einen jungen Mann einherstolzieren und so tun, als wäre er ein cavaliere erranfeoder Fahrender Ritter, handelt es sich entweder um einen bravo oder um jemand, der gern für einen solchen gelten möchte. Begegnet man einem bravo jedoch bei Nacht, trägt er eine Maske vorm Gesicht und einen wallenden Mantel um die Schulter und darunter einen modernen Kettenpanzer, drückt sich außerhalb des Lampenlichts im Dunkeln herum und wird sein Opfer mit Degen oder Stilett stets von hinten anfallen.
Nicht, dass man meint, bei diesen Betrachtungen handelte es sich um eine Abschweifung; denn ich wurde in der Tat zu einem bravo -oder zumindest zu einer Art bravo.
Immerhin habe ich von einer Zeit erzählt, da ich noch ein bimbo veneziato war und Zia Zulia sich darüber beschwerte, dass ich zu oft in der Gesellschaft der Hafenrangen gesehen wurde. In Anbetracht des Schandmauls, das ich mir angewöhnte, und der unmöglichen Manieren, die ich von ihnen übernahm, hatte sie allen Grund, dies zu mißbilligen. Doch nur eine Slawin und nie und nimmer eine geborene Venezianerin konnte es als unnatürlich betrachten, dass ich mich auf den Quais herumtrieb. Ich war Venezianer, und so hatte ich das Salz der See im Blut, und es trieb mich meerwärts. Da ich überdies auch noch ein Knabe war, setzte ich diesem Drang keinen Widerstand entgegen, und mit den Hafenrangen Umgang zu pflegen, bedeutete für mich die größtmögliche Annäherung an das Meer.
Ich habe seither viele am Meer gelegene Städte kennengelernt
-keine jedoch, die so sehr gleichsam Teil des Meeres ist wie mein Venedig. Für uns ist das Meer nicht nur ein Mittel, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen -das trifft auch auf Genua und Konstantinopel zu und auf Cherbourg genauso wie das legendäre Bauduin -, es ist untrennbar Teil unseres Lebens. Es umspült das Gestade einer jeden Insel und eines jeden Inselchens, die insgesamt und zusammen Venedig bilden, es fließt durch die Kanäle der Stadt und manchmal wenn Wind und Gezeiten aus derselben Richtung kommen schwappt es sogar die Treppenstufen zur Basilica San Marco hinauf und kann ein Gondoliere sein Boot zwischen den Portalbögen der großen Piazza San Marco hindurchrudern.
Nur Venedig, von allen Hafenstädten der Welt, betrachtet die See als seine Braut und bestätigt dieses Verlöbnis in feierlicher Zeremonie und durch Priester Jahr für Jahr aufs neue. Erst vorigen Donnerstag bin ich der Feier das letztemal gefolgt. Das war an Christi Himmelfahrt, und ich war einer der Ehrengäste an Bord der dick vergoldeten Staatsgondel unseres Dogen Zuane Soranzo. Sein prächtiger buzino d'oro wurde zwar von vierzig Ruderern gerudert, war jedoch nur eines von den vielen Schiffen und Booten, die - eine große Flotte -mit Seeleuten und Fischern, Priestern, Spielleuten und lustrisimi Bürgern bemannt in prächtiger Prozession auf die Lagune hinausfuhren. Am Lido, der am weitesten ins Meer hinausgeschobenen unserer Inseln, sprach der Doge die altehrwürdigen Worte: » Ti sposiamo, O märe nostro, in tigno di vero e perpe-tuo dominio« und warf den goldenen Ehereif ins Wasser, während die Priester für unsere schwimmende Gemeinde die Vorbeter machten und flehten, das Meer möge sich in den kommenden zwölf Monaten als genau so großmütig und willfährig erweisen wie eine menschliche Braut. Wenn die Tradition stimmt -dass nämlich seit dem Jahre tausend am Himmelfahrtstag die gleiche Zeremonie stattgefunden hat -, liegt in Form von über dreihundert goldenen Ringen vor dem Lido ein beträchtliches Vermögen am Meeresgrunde.
Die See umringt und durchdringt Venedig nicht nur, sie ist in jedem Venezianer; sie salzt den Schweiß seiner tätigen Arme und die aus Gram oder vor Freude vergossenen Tränen seiner Augen, ja sogar seine
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