Marco Polo der Besessene 1
womöglich noch kälter an. Wir waren stets darauf angewiesen, ein Feuer brennen zu lassen, uns zu wärmen, bis wir uns in unseren Zelten in unsere Decken wickelten. Manche Nächte jedoch waren so kalt, daß wir das große Lagerfeuer in fünf kleine Feuer aufteilten, diese eine Zeitlang brennen ließen, bis der Boden erwärmt war, um erst dann die Wolldecken auszubreiten und die Zelte über diesen warmen Stellen aufzuschlagen. Doch auch hier hielt die Wärme sich nicht lange, und so waren wir morgens häufig steif gefroren; in diesem wenig erfreulichen Zustand mußten wir uns dann erheben und uns wieder einem Tag in der freudlosen Wüste stellen.
Das nächtliche Lagerfeuer wärmte und schuf inmitten der leeren, einsamen, schweigenden und dunklen Wüstenei die Illusion von Geborgenheit; kochen jedoch ließ sich auf einem solchen Feuer nicht sonderlich gut. Da es Holz im Dasht-e-Kavir nicht gab, benutzten wir getrockneten Kamelmist als Brennmaterial. Die Tiere ungezählter Generationen von Wüstendurchquerern vor uns hatten diesen fallen lassen; er war leicht zu finden, und unsere eigenen Kamele sorgten mit ihren Ausscheidungen für künftige Reisende. Unsere Nahrung bestand jedoch aus allerlei Dörrfleisch und getrockneten Früchten. Ein großes Stück gedörrtes Hammelfleisch läßt sich genießbarer machen, wenn man es in Wasser einweicht und später kocht -doch das geht nicht über einem Feuer aus Kamelmist. Wenn wir selbst schon nach dem Rauch dieser vielen Lagerfeuer rochen, wir brachten es nicht fertig, auch noch etwas zu verzehren, was ähnlich roch wie wir selbst. Glaubten wir, das Wasser entbehren zu können, erhitzten wir es gelegentlich und ließen es darin ziehen, doch auch das ergab nicht gerade ein sehr wohlschmeckendes Gericht. Trägt man Wasser über eine lange Zeit in einem Schlauch mit sich herum, sieht es bald so aus und schmeckt und riecht auch so wie das Wasser, das der Mensch in seiner Blase mit sich herumträgt. Wir mußten es trinken, um zu überleben, doch verging uns mehr und mehr die Lust, auch noch unser Essen darin zu kochen; wir zogen es vor, daran herumzuknabbern, wenn es trocken und kalt war.
Abends fütterten wir auch die Kamele -ein jedes Tier bekam eine doppelte Handvoll getrockneter Erbsen und dann einen guten Schluck Wasser, das dafür sorgte, daß die Erbsen in ihrem Bauch anschwollen und ihnen das Gefühl vermittelten, gut gefüttert zu sein. Ich will nicht behaupten, daß die Tiere diese kargen Rationen genossen hätten, aber was genießen Kamele schon! Sie hätten auch nicht weniger geknurrt und gemurt, hätten wir ihnen Leckerbissen die Fülle geboten; und sie hätten am nächsten Tag auch nicht aus lauter Dankbarkeit besser gearbeitet.
Wenn sich dies alles anhört, als hätte ich kein Herz für die Kamele, dann stimmt das. Ich habe wirklich nicht viel für sie übrig. Ich habe in meinem Leben vermutlich schon auf jedem Reittier gesessen, das es in der Welt gibt - jedes würde ich dem Kamel vorziehen. Ich will einräumen, daß das zweihöckerige Kamel der kälteren Länder des Ostens ein wenig intelligenter und leichter zu lenken ist als das einhöckerige Kamel oder Dromedar der wärmeren Länder -was zu der Überzeugung einiger Menschen, daß der Sitz der Intelligenz beim Kamel der Höcker ist, einige Glaubwürdigkeit verleiht; falls es denn überhaupt so etwas wie Intelligenz besitzt. Ist der Höcker eines Kamels unter dem Einfluß von Hunger und Durst geschrumpft, zeigt es sich womöglich noch mißmutiger, reizbarer und weniger lenkbar als ein wohlgenährtes Kamel, aber wesentlich besser ist man auch mit einem solchen nicht dran.
Die Kamele mußten wie jedes andere karwan-Tier jeden Abend entladen werden, doch bei keinem einzigen Tier wäre das Beladen am nächsten Morgen so schwierig gewesen, daß es einen oft zum Wahnsinn trieb. Die Kamele bockten und blökten, röhrten und sprangen umher, und wenn diese Dinge nicht halfen, sondern uns nur wütend machten, spuckten sie uns an. Ist man dann endlich unterwegs, gibt es kein anderes Tier, das so bar jeden Orientierungssinns oder Selbsterhaltungstriebs wäre wie das Kamel. Gleichmütig wären unsere Kamele eines hinter dem anderen hergetrottet und in jedes Loch in jenen Salzpfannen hineingetreten, hätten wir Reiter oder Treiber uns nicht bemüht, sie drum herum zu lenken. Außerdem mangelt es dem Kamel im Gegensatz zu anderen Tieren am Gleichgewichtssinn. Darin dem Menschen ähnlich, vermag ein Kamel einen ganzen Tag lang
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