Marco Polo der Besessene 1
und über eine beträchtliche Entfernung hinweg etwa ein Drittel seines eigenen Gewichts erst in die Höhe zu heben und dann zu tragen. Trotzdem schwankt ein Mensch auf seinen zwei Beinen nicht so unberechenbar hin und her wie das Kamel auf seinen vieren. Das eine oder das andere unserer Tiere rutschte im Sand und womöglich noch häufiger auf dem Salz aus, fiel grotesk auf die Seite und war außerstande, sich wieder zu erheben, bis es vollständig entladen und mit vereinten Kräften unterstützt und ermutigt worden war. Woraufhin es sich dann bei uns bedankte, indem es uns anspuckte.
Ich habe das Wort ›spucken‹ benutzt, weil ich schon daheim in Venedig von Reisenden gehört hatte, Kamele spuckten, doch eigentlich stimmt das nicht. Täten sie es doch nur! In Wirklichkeit würgen sie hustend aus der Tiefe ihrer Eingeweide irgendein halbverdautes Futter hoch und speien diesen Auswurf aus. In unserem Falle handelte es sich um einen Brei, der sich aus Erbsen zusammensetzte, die erst getrocknet, dann gefressen, mit Wasser angereichert, aufgequollen und schließlich gasförmig geworden waren, dann halbverdaut und halb zum Gären gebracht und zuletzt -in dem Augenblick, da diese Substanz den Gipfel des Ekelerregenden erreicht hatte mit den Magensäften vermengt, hochgewürgt, im Maul des Kamels gesammelt, das nun mit geschürzten Lippen genau zielte und es mit aller Kraft auf einen von uns, möglichst in sein Auge, abschoß.
Selbstverständlich gibt es im Dasht-e-Kavir nirgends so etwas wie eine karwansarai, doch zweimal hatten wir in den vier Wochen oder noch längerer Zeit, die es brauchte, ihn zu durchqueren, das wunderbare Glück, auf eine Oase zu stoßen. Dabei handelt es sich um eine Quelle, die aus großer Tiefe heraufsteigt -wieso, wis sen nur Gott oder Allah. Dieses Quellwasser ist frisch und nicht salzig, und um die Quelle herum hat sich mehrere zonte im Umkreis Vegetation ausgebreitet. Ich habe dort nie etwas Eßbares entdecken können, doch war das Grün eines jeden verkümmerten Busches oder spärlich wachsenden Grases ein Labsal, nicht minder willkommen als frisches Obst oder Gemüse. Beide Male machten wir uns ein Vergnügen daraus, unsere Reise eine Zeitlang zu unterbrechen, ehe wir weiterzogen. In diesen Tagen schöpften wir Wasser, unseren staubbedeckten, salzverkrusteten und nach dem Rauch brennenden Kamelmists stinkenden Körper darin zu baden, die im Körper der Kamele verborgenen Wasserbehälter aufzufüllen und Wasser zu kochen -und schließlich unsere Wasserschläuche auszuspülen und neu zu füllen. War all das getan, lagen wir nur herum und genossen das ungewohnte Vergnügen, in grünem Schatten zu ruhen.
Bei der ersten Rast in einer Oase fiel mir auf, daß wir alle uns möglichst bald trennten und jeder für sich einen schattenspendenden Baum suchte, sich darunter zu räkeln, und später jeder sein eigenes Zelt in ziemlicher Entfernung von den anderen aufschlug. Es hatte in letzter Zeit keinerlei Streit unter uns gegeben und es gab auch keinen Grund, den wir hätten beim Namen nennen können, einander aus dem Weg zu gehen
-außer, daß wir eben ständig in der Gesellschaft der anderen
gewesen waren und es jetzt als angenehm empfanden, zur
Abwechslung auch einmal allein sein zu können. Ich hätte
darauf bedacht sein können, Aziz aus Gründen der Vorsicht in
meiner Nähe zu behalten, doch hatte der Sklave Nasenloch um
diese Zeit vollauf damit zu tun, die Krankheit loszuwerden, die
er sich schändlicherweise geholt hatte, daß er mir unfähig
schien, den kleinen Jungen zu belästigen. Deshalb ließ. ich zu,
daß auch Aziz für sich allein blieb.
Daß er das tat, glaubte ich zumindest. Doch nachdem wir es
einen Tag und eine Nacht hindurch in der Oase genossen
hatten, kam es mir am nächsten Abend in den Sinn, einen
kleinen Spaziergang durch das uns umgebende Gehölz zu
machen. Ich redete mir selbst ein, mich in einem weit weniger
beschränkten Garten zu ergehen, vielleicht in der Umgebung
des Baghdader Palasts, in der ich so manche Stunde mit der
Prinzessin Falter verbracht hatte. Mir das einzureden, war nicht
schwer, denn in dieser Nacht zog der trockene Nebel auf und
machte es mir unmöglich, mehr zu sehen als die
nächststehenden Bäume um mich herum. Selbst die
Geräusche drangen nur gedämpft durch diesen Nebel, und so
wäre ich fast über Aziz gestolpert, als ich ihn sein glockenhelles
Lachen ausstoßen und sagen hörte:
»Mir schaden? Wieso sollte mir
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