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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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in Venedig, würdet Ihr nichts weiter sein als eine allgegenwärtige Erinnerung daran. Freigelassen werdet Ihr nur unter der Bedingung, gleichzeitig aus Venedig zu verschwinden. Ihr seid ein Ausgestoßener. Ihr habt Venedig für immer zu verlassen.«
    Während der nächsten Tage blieb ich in der Zelle. Ich dachte über alles nach, was geschehen war. Der Gedanke, Venedig, la serenisima, la clarisima, verlassen zu sollen, schmerzte. Doch war das immer noch besser, als auf der Piazzetta zu sterben oder im vukano lebendig begraben zu sein. Ich war sogar imstande, Mitleid mit dem Priester zu haben, der an meiner Stelle den tödlichen Hieb des bravo ausgeführt hatte. Als junger Geistlicher an der Basilika hatte er gewiß auf eine glänzende Laufbahn in der Kirche gehofft; der jedoch mußte er im Exil auf dem Festland bestimmt entsagen. Ilaria drohte ein womöglich noch beklagenswerteres Exil, in dem ihr Schönheit und Begabung gewiß nichts mehr nützten. Aber vielleicht irrte ich mich da; immerhin hatte sie es fertiggebracht, sie als verheiratete Frau in reichem Maße zum Tragen zu bringen; vielleicht gelang es ihr auch als Braut Christi, das gleiche zu tun. Zumindest hatte sie reichlich Gelegenheit, die Lieder der Nonnen zu singen, wie sie es genannt hatte. Alles in allem waren wir drei im Vergleich zu dem unwiderruflichen Schicksal unseres Opfers durchaus glimpflich davongekommen.
    Aus dem Gefängnis entlassen wurde ich womöglich noch formloser, als man mich dort eingeliefert hatte. Meine Wächter schlossen die Zellentür auf, führten mich Gänge entlang und Treppen hinunter, durch andere Türen, bis sie schließlich die letzte auftaten und mich hinausließen auf den Hof. Dort brauchte ich nur durchs Weizentor hinauszutreten auf die sonnenbeschienene Riva -dann war ich frei wie die kreisenden Möwen. Das war zwar ein gutes Gefühl, doch wäre mir noch wohler zumute gewesen, hätte ich mich waschen und mir etwas Sauberes überziehen können, ehe ich heraustrat. Ich war die ganze Zeit über ungewaschen geblieben und hatte auch dieselbe Kleidung angehabt und stank nach Fischtran, Rauch und dem Inhalt des pissota-Eimers. Meine Kleidung hing seit dem Kampf nach der fehlgeschlagenen Flucht in Fetzen an mir, und diese Fetzen waren schmutzig und zerknautscht. Außerdem sproß mir damals gerade der erste Bartflaum; viel zu sehen war davon gewiß nicht, doch trug er für mich zu dem Gefühl des Abgerissenseins durchaus bei. Ich hätte mir bessere Umstände für die erste Begegnung mit meinem Vater vorstellen können. Er und mein Onkel Mafio warteten an der Riva, beide waren sie in vornehme Gewänder gekleidet, wahrscheinlich dieselben, die sie im Rat und bei der Amtseinführung des Dogen getragen hatten.
    »Siehe da, dein Sohn!« blökte mein Onkel. »Dein artistupendonazzisimo Sohnl Der Namensvetter unseres Bruders und unseres Schutzheiligen! Ist er nicht ein elendiger und winziger meschin, dass er für soviel Aufregung gesorgt hat?«
    »Vater?« sagte ich furchtsam zu dem anderen Mann.
    »Mein Junge?« sagte er geradezu zögernd, breitete dann aber doch die Arme aus. Ich hatte jemand noch Überwältigenderes als meinen Onkel
    erwartet, denn schließlich war mein Vater der ältere von beiden. In Wirklichkeit aber war er blaß neben seinem Bruder; bei weitem nicht so groß und beleibt und mit einer viel sanfteren Stimme. Gleich meinem Onkel trug er den Bart eines Reisenden, nur, dass der seine fein gestutzt war. Auch waren Bart-und Haupthaar bei ihm nicht rabenschwarz wie bei meinem Onkel, sondern unscheinbar aschblond wie das meine auch.
    »Mein Sohn. Mein armer, mutterloser Junge«, sagte mein Vater. Er schloß mich in die Arme, hielt mich dann jedoch auf Armeslänge von sich und sagte besorgt: »Riechst du immer so?«
    »Nein, Vater. Nur bin ich eingeschlossen gewesen seit...« »Du vergißt, Nico, dass du es mit einem bravo, bonvivän und Spieler zwischen den Säulen zu tun hast«, erklärte mein Onkel
    mit dröhnender Stimme. »Einem, der unglücklich verheirateten älteren Frauen den Hof macht, einem, der sich nächtens im Dunkeln herumdrückt und anderen mit dem Degen auflauert, einem Judenbefreier.« s »Nun ja«, sagte mein Vater nachsichtig. »Ein Küken muß die Flügel weit ausstrecken, dass sie übers Nest hinausreichen. Kommt, gehen wir heim.«
    Die Bediensteten im Haus bewegten sich mit einer Beflissenheit und Fröhlichkeit, wie ich sie seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr erlebt hatte. Sie schienen sogar froh,

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