Marco Polo der Besessene 1
ausüben. Ein Mann namens Lorenzo Tiepolo wollte unbedingt Doge werden und war bereit, Eurem Vater und Eurem Onkel für die Stimmen der Kaufmannschaft gewisse Zugeständnisse zu machen.«
»Als da wären'« fragte ich und fühlte, wie Hoffnung in mir
aufkeimte. »Ein neugewählter Doge setzt bei seiner Amtsübernahme traditionellerweise stets gewisse Amnestien durch. Seine
Serenitä Tiepolo ist bereit, Euch Eure schändliche Brandstiftung zu vergeben, aufgrund derer ein gewisser Mordecai Cartafilo hat diesem Kerker entfliehen können.«
»Dann werde ich also nicht wegen Brandstiftung verbrannt, sondern verliere als Meuchelmörder nur meine Hand und meinen Kopf?«
»Nein, das tut Ihr nicht. Ihr habt recht, der sassin ist gefaßt worden; aber Ihr irrt Euch, wenn Ihr meint, Ihr wäret das. Ein anderer hat bekannt, die sassinäda begangen zu haben.«
Zum Glück war die Zelle zu klein, sonst wäre ich zu Boden gesunken. So wich ich nur einen Schritt zurück und prallte mit dem Kopf gegen die Wand.
Mit einer Langsamkeit, die zum Wahnsinnigwerden war, fuhr der Bruder fort: »Ich habe Euch ja gesagt, ich bringe tröstliche Nachrichten. Ihr habt mehr Fürsprecher, als Ihr wißt, und alle haben sie Himmel und Hölle für Euch in Bewegung gesetzt. Dieser zudio, dem Ihr zur Freiheit verhelfen habt, ist nicht einfach davongelaufen oder hat sich aufs nächstbeste Schiff begeben, das ihn in ein fernes Land bringen konnte. Ja, er hat sich nicht einmal in den überfüllten Gassen des jüdischen burgheto versteckt. Statt dessen ist er hingegangen, einen Priester aufzusuchen -keinen rabino, sondern einen richtigen christlichen Priester -, keinen geringeren als einen der Unterpriester der Basilika von San Marco.«
»Ich habe ja versucht, Euch von diesem Priester zu erzählen.« »Nun, es sieht aus, als wäre dieser Priester der heimliche Liebhaber der Dona Ilaria gewesen, doch hat sich diese wider ihn gekehrt und ihm ihre Gunst entzogen, als sie erkannte, dass sie so nahe daran war, Dogaressa von Venedig zu werden, und es dann doch nicht wurde -seinetwegen. Der Priester bereute nunmehr, so etwas Schändliches wie einen Mord begangen zu haben, und das noch, ohne etwas davon zu haben! Selbstverständlich hätte er auch weiterhin Schweigen bewahren und die Angelegenheit zwischen sich und dem Herrgott auf sich beruhen lassen können, doch dann suchte Mordecai Cartafilo ihn auf. Offenbar redete der Jude von
irgendwelchen Briefen, die man bei ihm versetzt hat, was
genügte, den Priester zu bewegen, sein Vergehen auch zu
bekennen. Jedenfalls hat er alles gebeichtet, dabei freilich auf
das Beichtgeheimnis gepocht, und steht jetzt unter Hausarrest
in seinen kanonischen Gemächern. Auch Dona Ilaria darf als
Mittäterin ihr Haus nicht verlas sen.«
»Und was geschieht jetzt?«
»Jetzt muß abgewartet werden, bis der neue Doge sein Amt
auch wirklich angetreten hat. Lorenzo Tiepolo wird gewiß nicht
wollen, dass er ausgerechnet bei Antritt seines Dogato in ein
schlechtes Licht gerät; denn jetzt geht es bei diesem Fall um
auch recht hochstehende Persönlichkeiten und nicht nur um
einen Jüngling, der versucht hat, den bravo zu spielen. Die
Witwe eines Anwärters auf die Dogenwürde, einen Priester von
San Marco... jedenfalls wird Doge Tiepolo alles tun, um den
Skandal so klein wie möglich zu halten. Vermutlich wird er
einwilligen, dass dem Priester von einem kirchlichen Gericht
der Prozeß gemacht wird und nicht von der Quarantia. Ich
würde meinen, dass der Priester in irgendeine abgelegene
Pfarrei auf dem venezianischen Festland verbannt wird. Auch
wird der Doge wohl anordnen, dass die Dame Ilaria in
irgendeinem abgelegenen Nonnenkloster den Schleier nimmt.
Dazu gibt es einen Präzedenzfall. Vor etwa hundert Jahren hat
es in Frankreich eine ähnliche Situation gegeben, bei der es
auch um einen Priester und um eine hochstehende Dame
ging.«
»Und was geschieht mit mir?«
»Sobald der Doge die weiße scufieta anlegt, wird er seine
Amnestie verkünden, unter die auch Ihr fallen dürftet. Die
Brandstiftung wird Euch verziehen, und von der sassinäda seid
Ihr bereits freigesprochen. Ihr werdet aus dem Kerker entlassen
werden.«
»Frei!«
»Nun, vielleicht ein bißchen freier, als Euch lieb sein wird.«
»Was?«
»Wie ich schon sagte, wird der Doge dafür sorgen, dass die ganze unerquickliche Angelegenheit möglichst bald vergessen wird... Setzt er Euch nur auf freien Fuß, und bleibt Ihr
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