Marco Polo der Besessene 1
andeuten willst, was ich vermute, Marco,
möchte ich dich daran erinnern, dass deine Mutter unter der
Erde ruht, wo es weder Neid noch Eifersucht noch Vorwürfe
gibt.«
»Ja«, sagte ich, um dann dreist noch hinzuzufügen: »Aber du
trägst nicht den luto vedovile.«
»Deine Mutter ist nunmehr acht Jahre tot. Da sollte ich Trauer
tragen, und das zwölf Monate hindurch? Ich bin nicht mehr jung
genug, mich für ein ganzes Jahr lang in die Einsamkeit
zurückzuziehen. Und Dona Lisa ist auch keine bambina mehr.«
»Hast du schon um ihre Hand angehalten, Vater?«
»Jawohl, und sie hat mir das Jawort gegeben. Morgen gehen
wir zur Ehebesprechung mit Pare Nunziata.«
»Ist sie sich darüber im klaren, dass wir gleich nach der
Hochzeit abreisen werden?«
»Was soll dieses Verhör, du saputeld!« entfuhr es meinem
Onkel.
Mein Vater jedoch erklärte mit einer Engelsgeduld: »Ich heirate
sie ja gerade, weil ich abreise, Marco. Es bleibt mir doch gar
nichts anderes übrig. Da komme ich nach Hause in der
Hoffnung, deine Mutter am Leben und dem Hause Polo
vorstehend vorzufinden. Dem ist nicht so. Und jetzt kann ich was allein deine Schuld ist -dir nicht die Geschäfte
anvertrauen. Der alte Doro ist ein guter Mann und braucht
niemand, der ihm über die Schulter sieht. Trotzdem ziehe ich es
vor, zumindest als Galionsfigur des Unternehmens jemand zu
haben, der den Namen Polo trägt. Dona Fiordelisa wird diese
Aufgabe übernehmen, und zwar bereitwilligst. Auch hat sie
keine Kinder, die dir das Erbe streitig machen könnten, falls es
das ist, was dich bekümmert.«
»Das tut es nicht«, sagte ich und wurde abermals dreist. »Was
mich bekümmert, ist einzig der Anschein mangelnder Achtung
meiner eigenen Mutter -und auch Dona Trevan -gegenüber,
der sich darin ausdrückt, dass du aus schnödem
Gewinnstreben so übereilt heiratest. Sie muß wissen, dass
ganz Venedig tuscheln und sich vor Lachen biegen wird.«
Nachsichtig sagte mein Vater: »Ich bin Kaufmann, und sie ist
die Witwe eines Kaufmanns, und Venedig ist eine
Kaufmannsstadt, in der jeder weiß, dass es keinen besseren
Grund für irgend etwas gibt als schnöden Gewinn. Für einen
Venezianer ist Geld nur eine andere Art von Blut, und du bist
Venezianer. Ich habe diese Einwände vernommen, Marco - und
verworfen. Ich will davon nie wieder hören. Vergiß nicht,
jemand, der den Mund hält, sagt nichts Falsches.«
So hielt ich also den Mund und äußerte mich zu der ganzen
Angelegenheit nicht mehr, mochte ich sie nun für falsch oder für
richtig halten; und so stand ich an dem Tag, da mein Vater
Dona Lisa heiratete, zusammen mit meinem Onkel und allen
Dienstboten beider Häuser, zahlreichen Nachbarn und
Kaufleuten sowie deren Familien in der Pfarrkirche San Felice,
während Pare Nunziata zitternd die Messe las und die Trauung
vollzog. Nachdem jedoch die Trauung vorüber war, der Pare sie
als messere und madona bezeichnete und es an der Zeit war,
dass mein Vater seine Braut gemeinsam mit allen Gästen in
ihre neue Wohnung führte, löste ich mich von dem glücklichen
Zug und verdrückte mich.
Wiewohl in ein Festtagsgewand gekleidet, ließ ich mich von
meinen Füßen in die Gegend führen, wo die Hafenrangen
hausten. Seit meiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte ich
die Kinder nur selten und dann auch nur für kurze Zeit besucht.
Jetzt, da ich ein ehemaliger Sträfling war, betrachteten die
Jungen mich offenbar alle als Erwachsenen, ja, vielleicht sogar
als eine Berühmtheit; jedenfalls gab es plötzlich eine Distanz
zwischen uns, die zuvor nicht dagewesen war. An diesem Tag
freilich fand ich niemand außer Doris auf dem Treidelkahn vor.
Sie kniete auf den Planken im Rumpfinneren, trug nur ein
knapp sitzendes Hemd und hob nasse Wäsche von einem
Zuber in den anderen.
»Boldo und die anderen haben so lange gebettelt, bis der Kahn,
der die Abfälle nach Torcello hinausschafft, sie mitgenommen
hat«, sagte sie zu mir. »Sie werden den ganzen Tag über fort
bleiben, und da habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, alles
zu waschen, was nicht gerade von jemand auf dem Leib
getragen wird.«
»Darf ich dir Gesellschaft leisten?« bat ich. »Und heute nacht
wieder hier im Kahn schlafen?«
»Wenn du das tust, werden auch deine Kleider gewaschen
werden müssen«, sagte sie und betrachtete sie kritisch.
»Ich bin schon schlechter untergebracht gewesen«, sagte
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