Marco Polo der Besessene 1
mich wieder daheim zu sehen. Das Zimmermädchen beeilte sich, Wasser heiß zu machen, als ich sie darum bat, und Maistro Attilio lieh mir auf meine höfliche Bitte hin sein Rasiermesser. Ich badete mehrere Male, kratzte mir ohne großes Geschick und ungeübt den Flaum aus dem Gesicht, zog ein frisches Wams und frische Beinkleider an und gesellte mich dann zu meinem Vater und Onkel im Hauptraum, in dem der Kachelofen stand.
»Und jetzt«, sagte ich, »möchte ich alles über Eure Reisen
hören. Überhaupt alles über jeden Ort, den Ihr besucht habt.« »Großer Gott, nicht noch einmal«, stöhnte Onkel Mafio. »Man hat uns von nichts anderem reden lassen.«
»Dafür ist später immer noch Zeit, Marco«, sagte mein Vater. »Alles zu seiner Zeit. Sprechen wir jetzt erst einmal von deinen eigenen Abenteuern.«
»Damit ist es jetzt aus und vorbei«, sagte ich überstürzt. »Ich
würde lieber von Dingen hören, von denen ich nichts weiß.« Doch sie wollten nicht lockerlassen, und so berichtete ich freimütig von allem, was geschehen war, seit ich Ilaria zum ersten Mal flüchtig in San Marco erblickt hatte -auslassen tat ich nur den feurigen Nachmittag, den sie und ich zusammen verbracht hatten. Ich stellte es so dar, als hätte bloße jünglingshafte Schwärmerei mich dazu verleitet, etwas überaus Törichtes zu tun und den bravo zu spielen.
Als ich fertig war, seufzte mein Vater tief auf. »Ach, jede Frau
hätte dir den Kopf verdrehen können. Nun, du hast getan,
wovon du meintest, dass es das beste für dich wäre. Und wer
alles tut, was in seinen Kräften steht, tut viel. Die Folgen
allerdings waren tragisch, das muß man leider sagen. Ich habe
dem Dogen versprechen müssen, dass du Venedig verläßt,
mein Sohn. Nur -man muß bedenken, dass er auch wesentlich
härter mit dir hätte umspringen können.«
»Ich weiß«, sagte ich zerknirscht. »Und wohin soll ich gehen,
Vater? Soll ich mich aufmachen und das Schlaraffenland
suchen'«
»Mafio und ich haben in Rom zu tun, und du wirst uns
begleiten.«
»Soll ich dann den Rest meines Lebens in Rom verbringen?
Das Urteil lautete: Verbannung auf ewige Zeiten.«
Mein Onkel sagte, was auch der alte Mordecai schon gesagt
hatte: »Den Gesetzen Venedigs wird gehorcht... eine Woche
lang. Ein Doge ist Doge, solange er lebt. Wenn Tiepolo stirbt,
wird sein Nachfolger sich deiner Heimkehr kaum widersetzen.
Aber das sollte noch lange Zeit haben.«
Mein Vater sagte: »Dein Onkel und ich überbringen ein
Schreiben des Khakhans von Kithai an den Papst...«
Nie zuvor hatte ich diese in meinen Ohren mißtönenden Wörter
vernommen, und so unterbrach ich ihn, um ihm das zu sagen.
»Der Kahn aller Khane der Mongolen«, erklärte mein Vater.
»Vielleicht hast du schon mal vom Großkhan von Kathai gehört,
wie es fälschlicherweise oft genannt wird.«
Ich starrte ihn an. »Ihr seid bei den Mongolen gewesen und mit
dem Leben davongekommen?«
»Bei ihnen gewesen und Freundschaft mit vielen von ihnen
geschlossen. Freundschaft auch mit dem mächtigsten von allen
-dem Khan Kubilai, der über das größte Reich auf Erden gebietet. Er hat uns gebeten, Papst Clemens ein Ersuchen zu überbringen...«
Er fuhr fort, das näher zu erklären, doch ich hörte nicht zu. Ich
starrte ihn nur in ehrfürchtigem Schrecken an und dachte: Das
ist dein Vater, den du längst tot geglaubt hast, und dieser ganz
gewöhnlich aussehende Mann behauptet, ein Vertrauter von
Barbarenkhanen und heiligen Päpsten zu sein.
Er schloß: »... Und wenn der Papst uns die hundert Priester
mitgibt, um die Kubilai bittet, werden wir sie gen Osten führen.
Wir werden wieder nach Kithai ziehen.«
»Wann brechen wir nach Rom auf?«
Verlegen sagte mein Vater: »Nun ja...«
»Sobald dein Vater deine neue Mutter geehelicht hat«, sagte
mein Onkel. »Und das muß warten, bis die bandi verkündet
worden sind.«
»Ach, das glaube ich nicht, Mafio«, sagte mein Vater. »Da
Fiordelisa und ich kaum mehr die jüngsten sind und beide
verwitwet, wird Pare Nunziata wohl auf das dreimalige Ausrufen
der bandi verzichten.«
»Wer ist Fiordelisa?« fragte ich. »Und ist das nicht ein wenig
übereilt, Vater?«
»Du kennst sie«, sagte er. »Fiordelisa Trevan, Herrin über das
Haus drei Türen weiter den Kanal hinunter.«
»Ja. Eine nette Frau. Sie war Mutters beste Freundin unter all
den Nachbarinnen.«
»Wenn du damit
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