Maria, ihm schmeckts nicht!
Fahrrad kaufen könne, wenn mir danach ist. Ich
möchte nicht wissen, was da im Hochofen gelandet
ist, aber die Miete für das Haus ist so sensationell günstig, dass es wohl ein ziemlich großer Gefallen
gewesen sein muss.
Jedenfalls sagen wir zu, den Urlaub mit Toni und
Ursula zu verbringen, und also fahren wir einige
Wochen später los, Richtung Süditalien, und zwar zu-nächst in Antonios Heimatort Campobasso, weil ich
der Familie vorgestellt werden muss. Inzwischen ha-
be ich keine Angst mehr davor, amputiert, entführt
oder gegessen zu werden. Ich habe nämlich seit der
Hochzeit mehrmals mit verschiedenen Familienan-
gehörigen telefoniert. Nein, das ist übertrieben. Ich habe mich am Telefon gemeldet und ein kratzendes
Geräusch vernommen, dem bald etwas Unverständ-
liches folgte, was so ähnlich klang wie Italienisch. Ich habe dann immer »Uno momento« gesagt und den Hörer weitergegeben. Wenn Sara nicht zu Hause
war, sagte ich Sätze wie »Sara no a casa«, worauf am anderen Ende der Leitung heiser gelacht wurde.
Manchmal trug man mir etwas auf, was ich nicht
verstand, und ich richtete Sara aus, dass sie doch am besten zurückrufen solle. Sara übersetzte dann die
Fragen der diversen Onkel und Tanten, die ich alle-
samt für ziemlich merkwürdig hielt (die Fragen,
nicht die Onkel und Tanten – die kannte ich ja noch gar nicht). Ob ich so fleißig sei, wie man es von einem Deutschen befürchten müsse? Ob ich Lunge oder Leber essen würde oder beides? Ob ich Allergien hätte?
Schließlich brechen wir auf, bepackt für einen
dreiwöchigen Strandurlaub mit Don Marcipane und
allen, die uns in seinem Sommerhaus besuchen wol-
len. Ich bestehe allerdings darauf, dass wir mit zwei Autos fahren, weil es mir schon rein technisch nicht möglich ist, auf der Autobahn sieben Stunden lang
eine Geschwindigkeit von dreiundachtzig Kilome-
tern pro Stunde zu halten.
Das geht nicht nur mir so. Weil Antonios Frau auch
gerne irgendwann ankommen möchte, schlägt sie ihm
nach spätestens fünfzig Kilometern einen Fahrer-
wechsel vor. In den vergangenen sechsunddreißig
Jahren, so erzählte mir Sara einmal, führte das
unweigerlich dazu, dass ihre Mutter die Strecke fast ganz alleine fuhr und Antonio schnarchend im Fond
lag. Als Sara und Loretta erwachsen waren, konnte
man sich immerhin zu dritt abwechseln. Es stand
natürlich immer der Verdacht im Raum, dass
Antonio in Wahrheit nur so langsam fuhr, damit
man ihm das Steuer wegnahm und er in Ruhe
schlafen konnte. Diesen Vorwurf konterte er mit der Behauptung, er wolle den Seinen lediglich die Möglichkeit geben, am Steuer Erfahrung zu sammeln,
und das sei doch sehr großzügig von ihm. Damit war
es allerdings stets wenige Kilometer vor Campo-
basso vorbei. Dann wachte er wie durch ein Wunder
auf und drängte ans Lenkrad.
»Waaas? Kinde! Wir sinde ja schon faste da. War-
um habt ihr nichte geweckte? Jetzte fahre ich aber
wenigste die Reste.«
Er zog sein Hemd aus, legte sich ein Handtuch um
den Nacken, hängte den Arm aus dem Fenster und
steuerte hupend in den Ort: Toni aus Deutschland ist da, total abgekämpft, aber glücklich, seine Familie hierher gebracht zu haben.
Die Reise geht also nach Campobasso. Das ist ein
kleiner Ort von etwa 50 000 Einwohnern. Er liegt
zweihundertfünfzig Kilometer südöstlich von Rom
in den Bergen und langweilt sich. Campobasso ist die Hauptstadt der Region Molise, die genau so klein ist wie die andere winzige Region Italiens, das Aostatal.
Während man jedoch Letzteres für seinen Schinken
und seinen Tourismus kennt, ist von Molise praktisch nichts bekannt. Die meisten Italiener waren noch nie hier. Diese Region ist also ungefähr so etwas wie das Saarland Italiens. Die Gegend von Campobasso ist
ziemlich karg und besteht aus Bergen, die mit grünen Sträuchern überzogen sind. Es gibt auch Oliven und
Wein, aber keine Industrie und wenig Hoffnung.
Diese wird zu einem großen Teil von Padre Pio ge-
nährt, dem aktuellen Heiligen-Superstar Italiens.
Sein Antlitz begegnet einem in Molise auf Schritt
und Tritt, als sei er das Staatsoberhaupt einer Dikta-tur osteuropäischer Prägung. Padre Pio hat einen
Bart, der aussieht wie Auspuffqualm, und soll schon als junger Mann Wundmale an Händen und Füßen
gehabt haben, was als Zeichen besonderer Verbun-
denheit zu Gott gewertet wird. Padre Pio war nicht
immer unumstritten in der katholischen Kirche, doch beim Volk sehr beliebt. Er starb 1968
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