Maria, ihm schmeckts nicht!
und wird
besonders im Süden Italiens verehrt. Außer Padre
Pio gibt es nicht viel, woran die Menschen im Süden sich aufrichten können, seit der ruhmreiche SSC
Neapel nicht mehr in der ersten Liga spielt. Der
Glaube wohnt im Süden, das Geld im Norden, so
einfach ist das.
Die Verehrung für Padre Pio findet unter anderem
im Kloster von Cassina statt, einem Ort, der gut
dreißig Kilometer vor Campobasso liegt. Dort stapeln sich zuweilen die Reisebusse. Leider drehen sie nach getaner Preisung wieder um und fahren zurück nach
Rom oder Neapel. Bis in die Hauptstadt von Molise
dringt niemand vor. Das führt dazu, dass es in Campobasso zwar eine kleine Universität gibt, aber kein einziges Hotel. Es dürfte die einzige Provinzhaupt-stadt in Europa ohne auch nur den geringsten
Fremdenverkehr sein, und das obwohl die Stadt
immerhin eine richtige Burg zu bieten hat. Allerdings tragen die Politiker am Ort auch nichts zu Ruhm oder Bekanntheit der Gemeinde bei. Es gibt kein Jazz- oder Filmfestival in Campobasso, keinen antiken Trödel-markt, kein bedeutendes Museum und auch keine
Landwirtschaftsmesse oder so etwas. Das einzig Be-
kannte an Campobasso sind das Gefängnis, das et-
was außerhalb einigen hochrangigen Mafiabossen
Kost und Logis gewährt, und die Tatsache, dass die
Großmutter von Robert De Niro im Nachbardorf
wohnt. Robert De Niro soll aber bisher aus Zeitgründen nie vorbeigekommen sein, was man verstehen
kann, wenn man mal von Rom dorthin gefahren ist.
Man erreicht das Städtchen, das in fast tausend Me-
tern Höhe liegt, nur über schmale Landstraßen, die
zwar schön, jedoch auch schön gefährlich sind. Ro-
bert De Niro könnte sich natürlich einen Hubschrau-
ber mieten und wäre schnell dort, aber die Gegend
ist außerdem extrem windig, was zweifelsohne beim
Aussteigen Probleme bereiten würde. Robert De
Niro bleibt daher lieber zu Hause. Ich nicht. Ich fahre mit Sara zu ihrer Familie nach Campobasso, das »In culo al mondo« liegt, wie die Italiener sagen, und was genau das bedeutet, was Sie jetzt glauben.
Sieben Stunden bevor Antonio eintrifft, halten wir
also am Arsch der Welt beim Haus von Oma Anna.
Die Oma, wie alle Omas in Italien Nonna geheißen,
ist hoch erfreut über unseren Besuch, denn es hatte die Gefahr bestanden, dass der Opa stürbe, ohne
mich vorher gesehen zu haben. Zur Begrüßung kneift
Nonna Anna mir in die Wange, was sie wohl als
Ausdruck großer Zuneigung verstanden wissen will.
Liebe tut weh. Nonna Anna ist eine winzig kleine
Frau mit wächsernem Teint. Auf der Nase trägt sie
eine riesige Brille, mit der sie aussieht wie Erich Honecker. Sie geht gebückt, aber mit schnellen,
schlurfenden Schritten.
Opa Calogero, dessen seltener Vorname auf seine
sizilianische Herkunft schließen lässt, ist weit über achtzig, ebenfalls sehr klein und besitzt die hellen Augen, die ich bei Antonio und meiner Frau so
bewundere. Er trägt einen blauen Pullover und
darüber Hosenträger, die an seiner braunen Hose
klemmen. Sara hat mir erzählt, er sei ein Faschist
reinsten Wassers. Solange er noch dazu in der Lage
war, predigte er die visionären Ideen des Duce – und dies noch fünfzig Jahre nach Kriegsende.
Den Sommer über saß er den ganzen Tag auf ei-
nem Stühlchen vor einem wackligen Tisch und
schimpfte auf das moderne Italien. Bei Weltmeister-
schaften hielt er stets zu Deutschland, lobte die Disziplin und die Kondition der deutschen Spieler. Dies führte dazu, dass ihm ständig einer aus seiner Nachbarschaft auf den Hinterkopf hieb, um ihm diese Ge-
danken auszutreiben. Als er an Alzheimer erkrankte, hieß es nach italienischer Logik folgerichtig, daran seien nur die Deutschen schuld. Bei unserer Ankunft sitzt er auf seinem Stühlchen und erkennt meine
Frau nicht mehr.
Seit fast fünfzig Jahren wohnen Calogero und Anna
Marcipane im selben Haus in der Via Tiberio. Sie
zogen ein, als es ganz neu war. Inzwischen blättert der Putz von der Fassade und die Wohnungstür
schließt schlecht. Ihre Wohnung hat drei Zimmer,
eine winzige Küche und ein klitzekleines Bad. Darin steht eine Wanne, die so kurz ist, dass ich darin nur mit angezogenen Beinen sitzen kann. Doch für die
allesamt recht klein geratenen Marcipanes reicht es.
Ich, wer sonst?, trage das ganze Gepäck hoch, auch
wenn wir nicht alles brauchen werden. Man weiß ja
nie, wir wollen das Schicksal nicht versuchen. Wenn schon mein Auto geklaut wird, dann möchte ich
wenigstens die
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