Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Dunkelheit kaum ausmachen kann. Ihr Lächeln ist weich. Sie trägt einen altmodischen Wintermantel, der über ihrem Bauch spannt, und winkt Bene zu, er möge näher kommen.
Wanda zündet im Geburtszimmer eine Kerze an und betet, weil ihr gar nichts anderes übrig bleibt. Sie kann nichts tun, bevor der Notarzt nicht da ist. Gräulichblass liegt Miriam da. Sie stöhnt von Zeit zu Zeit leise. Wanda vermutet sie in anderen Welten. Noch schlägt das Herz der Kleinen schwach, aber gleichmäßig, wie Wanda mit dem Hörrohr überprüft, halb hoffend, dass wenigstens das Kind endlich mit ihr kommunizieren wird. Es war bereits alles abgemacht, als Wanda das kleine Mädchen kennengelernt hatte. Es hatte keine Ambivalenz dem Leben gegenüber, sondern hatte sich als Marienkind von vornherein eindeutig für diese tief in Schwierigkeiten steckende Mutter entschieden. Kraft, Glück und Wohlstand wollte es von der anderen Seite mitbringen und mit der Ostfrau, den beiden Kindern und dem Bayern eine Familie gründen. Doch seitdem musste etwas passiert sein. Und jetzt ist die Kleine in einem der verfluchten Täler gelandet, in denen es seit dem Zweiten Weltkrieg spukt. Um Dachau herum gibt es ähnliche Energielöcher, aber dort siedeln keine Familien, denn die Frauen wissen instinktiv um die Gefahr für ihren Nachwuchs. Ein Konzentrationslager ist energetisch schlimmer als eine Lagerstatt voller Atommüll. In ihrem Erding, wo der reinigende Schwefel sprudelt, ist der Fluch auch erst seit etwa zwei Jahrzehnten gebannt. Trotzdem gibt es immer noch offene Rechungen aus dieser Zeit, die nie hätte sein dürfen.
Die Geisterfrau auf dem Hof ist verschwunden, aber durch das offene Fenster hört Wanda jetzt deutlich das nahende Rauschen und fühlt die stählerne Kälte in ihrem Nacken. Sie verflucht gerade ihre eigene Hilflosigkeit, als Miriam mit einem Mal die Augen aufschlägt. Sie sieht an Wanda vorbei, als würde sie jemanden draußen am Nachthimmel ansehen. Von weit her kommt ihre Stimme, als sie Wanda bittet, den Cowboy zu holen. Er müsste der Tochter ihren Namen geben.
Joe starrt Bene mit glasigen Augen an, als der Junge versucht, ihn zum Sprechen zu animieren. Der Cowboy ist noch nicht wirklich bei sich. Er hat keine Ahnung, wie er auf den Schlitten gekommen ist, und immer noch klappern seine Zähne. In seinem Kopf donnert es, so als würde ihm mit einem Presslufthammer etwas eingebläut werden. Dabei hat der Junge nur einen Wunsch. Er bittet den Cowboy um einen Namen, so wie es die Geisterfrau von ihm verlangt hat, bevor sie mit ihren dunklen Gefährten in der Nacht verschwand. Der Cowboy muss Miriams Baby einen Namen geben. Der Cowboy schüttelt den Kopf, bevor er sich die Schaffelldecke über die geschwollene Nase zieht. Er will jetzt über keine Namen nachdenken. Bene hält das beschädigte Marterl in seinen Händen. Der Cowboy hatte ihn darum gebeten. Das Marterl musste mit in den Schlitten, und der Gekreuzigte hängt nur noch an einem Nagel fest und wippt im Takt der Hufe. Bene findet, dass der Jesus im Schein seiner Taschenlampe ein Lächeln im Gesicht zu haben scheint, so als würde alles gut ausgehen. Aber noch sind sie nicht in Sicherheit. Bene hat die Todesboten erkannt, von denen die junge Geisterfrau flankiert war. Immer noch rauscht es um sie herum. Sie werden von gierigen Augen beobachtet, denen es nichts ausmachen würde, wenn der Pferdeschlitten in den Abgrund stürzt. Der Junge sieht zu Opa Ernst, der im Dunkeln fast nichts mehr sehen kann, aber der Alte weiß es auch. Eine dunkle Macht wartet. Doch da tönt die Stimme des Cowboys laut und klar durch die Nacht.
»Das Kind soll Esther heißen. Esther, geboren an Santa Lucia.«
Plötzlich hört das Flügelrauschen auf. So als hätte jemand einen Schalter ausgeknipst, ist der Spuk vorbei. Bis auf die Schellen, das Stapfen der Hufe und das Schnauben der Pferde ist es jetzt still. Kein glitzerndes Blauschwarz von Federn zwischen den Schneeflocken, keine gläsernen Krallen mit unersättlichem Hunger und keine tagblinden Augen, die ihnen zurück zum Hof folgen. Der Spuk ist vorbei.
Heiß schießt Wanda das Kribbeln in die Hände, als sich wie auf Kommando alle Unsichtbaren aus dem Zimmer ins Gemäuer zurückziehen. Die Flamme von Wandas Kerze, vorher ein unruhig flackerndes Fädchen, wird rund und fett. Es kann losgehen. Ihre Arbeit beginnt. Der Notarzt ist überflüssig. Schon bald darauf gelingt Esthers Köpfchen der Weg ins Licht, und während die Schellen den
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