Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
zusammenpasst. Alles unausgesprochen, versteht sich, aber eben doch schmerzhaft spürbar für einen Verletzten mit langen Antennen. Joe ist auf der Hut, aber trotzdem kein Kostverächter. Die Telefonnummer in seiner Jackentasche ist ein kleiner Triumph. Doch wirklich glücklich macht Joe das Singen auf Mollys Rückbank. »Maria durch ein’ Dornwald ging« kann er eigentlich nicht leiden. Es liegt für seinen Geschmack zu viel Pathos in Text und Melodie. Aber Anna-Sophie singt das Lied mit einer kindlichen Innigkeit, die ihn an früher erinnert. Die alte Kröte springt zurück in Joes Hals. Diesmal hilft alles Räuspern der Welt nicht, die Kröte bleibt. Das Band roter Lichter, das Molly hinter sich in Richtung Autobahn zieht, verschwimmt vor Joes Augen. Er hasst diese alljährliche Weihnachtssentimentalität.
Eine halbe Stunde und einige Gitarrensoli später, nachdem Joe von Bene darüber aufgeklärt worden ist, warum seine Freunde nur Musik mit Text hören, ist alles anders. Die Stimmung müsste eigentlich gelöst und zuversichtlich sein, ist sie aber nicht. Immer häufiger tuscheln die Kinder und werfen sich bedrückte Blicke zu. Papagena muss blaue Flecken haben vom ständigen Drücken, und Bene vermeidet jedes noch so harmlose Gespräch mit ihm. Immer deutlicher beschleicht Joe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Aber was? Schließlich bittet er die Kinder, mit ihm zu sprechen. Was ist los?
Ob Joe schon mal arm gewesen sei, will Bene schließlich zögernd wissen. Arm so wie kein Geld? Joe überlegt kurz, was der Junge meinen könnte. Dann lässt er sich gut gelaunt über eine Zeit aus, in der er nach dem Schulabschluss mit seinem besten Freund Schorsch durch Europa getrampt sei. Auf einem Campingplatz in Portugal, wo sie hinter zwei hübschen Schwedinnen her gewesen seien, habe man ihnen ihr ganzes Geld gestohlen. Die jungen Männer hätten sich in dieser Situation dringend etwas einfallen lassen müssen.
»Kennt ihr Donovan?«
So lautet Joes rein rhetorische Frage, denn er ist sich sicher, dass die Kinder diesen Sänger aus den Siebzigerjahren nicht kennen.
»›Universal Soldier‹?«
Wie aus der Pistole geschossen liefert Bene noch weitere Titel. Der Junge kennt nicht nur die Melodie, sondern auch den Text und beginnt zu singen. Joe ist baff. Niemand, aber auch niemand, der jünger als fünfunddreißig ist, kennt noch diese Lieder. Warum Bene? Da beginnt der Junge von seinem Vater zu erzählen, der vor seiner Emigration in den Westen länger in Tiflis im Untergrund gelebt hat. Erst 1990, nach Öffnung der Mauer, ist Benes Vater in den Westen abgehauen, weil er nach einer Flugblattaktion seines Lebens nicht mehr sicher war. »Universal Soldier« war an der Uni von Tiflis das geheime Protestlied gegen die Russen.
Joe räuspert sich. Er ist mit einem Mal befangen. Seine Geschichte über das gestohlene Geld auf dem Campingplatz kommt ihm lächerlich vor.
»Und? Hat dein Freund das Lied gesungen?«
Bene will es von Joe genau wissen, und so erzählt Joe seine Geschichte weiter. Die zwei Wochen als Straßenmusiker haben ihn entscheidend geprägt. Schorsch habe sich als nur mäßig brauchbar herausgestellt, aber ohnehin seien Mädchenstimmen besser gewesen, um Geld zu verdienen. Die beiden Schwedinnen hatten sich schließlich erbarmt.
»Hast du dich in eine von beiden so richtig verliebt?«
Gebannt hängt jetzt auch Anna-Sophie an Joes Lippen. Sie mag Geschichten ebenso wie ihr Bruder, und Joe tut den beiden den Gefallen. Ausführlich und mit dem einen oder anderen charmanten Detail erzählt er von ihrer Rückreise durch Europa als Straßenmusikerquartett mit den Schwedinnen. Sie hätten sogar ein paar Lieder à la ABBA einstudiert.
»Ihr kennt doch sicher auch ABBA, oder?«
Selbstverständliches Nicken. Bene spult eine Reihe von Titeln ab, als wäre es das kleine Einmaleins. Anna-Sophie liefert die Melodien dazu, jeweils in Kurzfassung, aber durchaus erkennbar.
»Und hat sich das Mädchen auch in dich verliebt?«
Anna-Sophie interessiert vor allem die Liebe.
Joe erzählt genüsslich von den Stationen seiner musikalischen Rückreise mit den Schwedinnen. Erster Kuss in Madrid, heißer Liebesschwur in Barcelona und eine wunderschöne Woche am Strand unter den Sternen von Ibiza. Damals musste jeder einmal auf Ibiza gewesen sein. Das war Kult, und Kult war Pflicht. Danach eine schlimme Zugfahrt nach Rom. Zur Trennung von Joes Angebeteten kam es schließlich an der Spanischen Treppe, nach ihrem
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