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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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Weste und zu ganz ausgefallenen Tageszeiten einen Bowler-Hut. Er puderte sein Gesicht nach dem Rasieren mit Talkumpuder, und es bestand die Möglichkeit, daß er beim Ankleiden ein Haarnetz trug, was, wie sie wußte, sehr viele Franzosen taten. Aus seiner Hosentasche hing eine Uhrkette, und er hatte eine krankhafte Schwäche für Cremetorten. Aufs Land zu fahren bedeutete für ihn ein Hobby, keine Lebensnotwendigkeit. Dauernd erkundigte er sich, ob diese oder jene Leute aus guter Familie seien, und wenn er von seinen englischen Freunden sprach, erwähnte er stets die Titel, falls sie welche hatten.
    All diese Gewohnheiten machten ihr nichts aus. Sie hatten ihren Ursprung ja schließlich in der romantischen Tatsache, daß er Franzose war — aus Paris — und daher mehr von der Liebe verstand als jeder Engländer, den sie bis jetzt kennengelernt hatte.
    Obwohl sich aus dem Streifen am Horizont die weißen Klippen erst ganz allmählich heraushoben, machte sich hinter Mary bereits die Unruhe britischer Reisender bemerkbar, die sich zum Aussteigen fertigmachen. Vielleicht sollte sie sich zur Damentoilette durchdrängeln, um sich noch mal die Haare zu kämmen und den komischen Hut mit dem richtigen Pfiff aufzusetzen. Sie wandte sich von der Reling ab und dachte, wie kleinlich es von ihr sei, solche Lappalien bei Pierre überhaupt zu bemerken. Er war attraktiv, gepflegt, aufrichtig, vergnügt und lebenslustig; überzeugt von sich und davon, daß er sie richtig zu nehmen wußte. Und darauf kam es schließlich an. Und doch, während sie sich einen Weg um und über vermummte, erschöpfte Gestalten, Hutschachteln, Golfschläger und Männer mit Tweedmützen, die über Baldwin diskutierten, bahnte, hörte sie Großmamas Stimme: «Der leiseste Zweifel — — —»
    Als Mary England wiedersah, wußte sie, daß sie niemals irgendwo anders leben könne. Falls sie Pierre heiratete, mußte er seine Versetzung an die englische Zweigstelle der Bank beantragen, das stand fest.
    Lag in Paris etwas Besonderes in der Luft, so galt das auch für England, nur mußte man fortgewesen sein, um es zu bemerken. Die Luft war feucht und frisch und vertraut, alles sah aus, wie es immer ausgesehen hatte, beruhigend alltäglich wie ein Kohlkopf. Selbst die Winde wehten, als ob sie wüßten, daß England das einzige Land war, in dem sie wehen konnten. Mary war noch nie so lange fortgewesen, und sie ging die Gangway hinunter, glücklich, dorthin zurückzukehren, wohin sie gehörte.
    Der Zug brauste durch die Felder von Kent, deren Grün eine fast unerträgliche Freude bedeutete. Wie seltsam, daß in zwei Ländern, die einmal ein Land waren und die jetzt lediglich ein zwanzig Meilen breiter Wasserstreifen trennte, die Farbe des Grases so verschieden sein konnte. Die Wiesen in Frankreich waren graugrün, wie die Felduniform der Soldaten, aber hier in England schimmerten die Wiesen, die seit Jahrhunderten nur Frieden kannten, in dem sattesten, kräftigsten Grün des Frühsommers. Mary hatte für Kent nie viel übriggehabt, aber jetzt entdeckte sie ihr Herz dafür und sah gebannt aus dem Fenster, vergaß das Abteil hinter sich, wie früher in dem Zug nach Charbury.
    Sie hatte gehofft, daß irgend jemand sie an der Victoria-Station abholen würde, aber es war niemand in der schwatzenden, sich umarmenden Menschenmenge, der zu ihr gehörte. In der Marguerite Street stürzte sie ins Haus und rief: «Hallo, da bin ich», aber die einzige, die antwortete, war Mabel, die Tageshilfe mit dem Ischiasleiden, die aus dem kleinen Souterrain heraufkroch und sagte: «Schön, daß Sie wieder mal da sind», was aber nicht sehr überzeugend klang.
    «Guten Tag, Mabel, was machen Ihre Beine?» fragte Mary automatisch, «wo ist meine Mutter und Mr. Payne?»
    «Vor sieben Uhr abends kommt sie neuerdings vom Geschäft nicht nach Hause, arbeitet sich halbtot, das tut sie, und dürfte es gar nicht. Ich hab’s ihr gesagt, direkt ins Gesicht: , habe ich gesagt. Ich hab nie ein Blatt vor’n Mund genommen, das wissen Sie ja, Miß Mary. Ich sage so, wie ich denke —»
    «Ja, ja», sagte Mary ermattet und ging ins Wohnzimmer, auf die Jagd nach einer Zigarette. «Und mein Onkel, nehme ich an, ist in Denham?»
    «Stimmt. Er hat noch zu drehen. Aber Sie hätten mal seinen letzten Film sehen sollen. Ich hab den weiten Weg bis zum Westend gemacht, aber ich war bedient. Fürs mag so was ja gehen, aber im kommen sie’damit nicht

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