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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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sie bedrängte. Sie blickte wieder über die Dächer von Paris, aber die hell erleuchteten Straßenzüge gaben keine Antwort.
    «Findest du das sehr dumm von mir?» fragte sie und wandte sich ihm wieder zu. «Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken. Du weißt, ich fahre in ein paar Tagen nach England. Könnte ich es mir dann überlegen, wenn wir nicht zusammen sind, und dir die Antwort sagen, wenn ich zurückkomme?»
    «Ich nehme an, das alles ist nur, weil ich Franzose bin und du Engländerin», sagte Pierre verdrossen, und sein Lächeln drohte in Ärger umzuschlagen.
    «Ja, in gewisser Weise schon.» Diese Überlegung war ihr zwar noch nicht gekommen, aber sie griff sie dankbar auf. Es war der unverfänglichste Grund, der ihn am wenigsten kränken konnte.
    «Meinetwegen, Baby», sagte er, «denk ruhig nach. Aber damit du’s nur weißt, unsere Nationalität spielt dabei gar keine Rolle. Ich bin ein Mann und du bist eine Frau, daran ist nichts zu ändern. Ein Mann und eine Frau, Mary. Du kannst nicht gegen etwas an, was dir bestimmt ist. Und du gehörst mir, das weißt du.» Die Eindringlichkeit seiner Stimme erschreckte sie.
    «Nein, Pierre, bitte nicht», bat sie mit erstickter Stimme, «du hast doch gesagt, daß du mir Zeit läßt, mich zu entscheiden. Wir wollen gehen, ja?» Sie stand auf, schob ihren Stuhl zurück und strich den Rock ihres langen, schwarzen Kleides glatt. «Komm, wir gehen», wiederholte sie, als er sitzenblieb und zu ihr aufsah. «Es wird kühl und —» sie lachte unsicher, «ich mag dieses Getränk nicht. Es schmeckt nach Schuhcreme.»
    Mary und Lucienne Robeau tauschten ihr Quartier, um das lange Wochenende über Pfingsten bei ihren Familien zu verbringen. Mitten im Kanal sah Mary das Gegenboot nach Calais. «Da fährt Lucienne», dachte sie, «mit einem neuen Sommerhut, den sie zu herabgesetzten Preisen bei Selfridge’s erstanden hat. Sie wird gespannt sein, ob ich Tinte auf ihre Steppdecke gegossen oder ihre Federschale zerbrochen habe. Und hier stehe ich, auch mit einem etwas merkwürdigen Hut auf dem Kopf, einer Schöpfung von Mademoiselle Sylvie und mir — und frage mich, wieviel sie mir von meinem Parfüm, das ich zurückgelassen habe, gemaust und ob sie an den Zeigern meiner Porzellanuhr herumgefummelt hat.» Hauptsächlich war sie allerdings, wie schon in den vergangenen drei Tagen, mit der Frage beschäftigt, was mit Pierre werden solle. Sie erinnerte sich an das, was Großmama einmal vor Jahren von den drei Männern, die sie heiraten wollten, erzählt hatte. Der erste war ein Deutscher, von Zalpius, er hatte sich mitten beim Kotillon auf ein Knie niedergelassen und erklärt: «Du bist meine Königin.» Dann kam George Vallery, nett und sehr verliebt, aber er machte den Fehler, ihr Großpapa vorzustellen. Der dritte war dann Großpapa selbst, der ihr bei einer Bootsfahrt in Henley einen Antrag machte.
    «Der arme George», hatte Mary damals gesagt, «es muß schrecklich sein, wenn man nein zu jemandem sagen muß. Es klingt so — so unhöflich, und woher weiß man überhaupt, ob man ja oder nein sagen soll?» Sie erinnerte sich an Großmamas Antwort.
    «Der leiseste Zweifel genügt», hatte sie gesagt, «um dir zu zeigen, daß es nicht der richtige Mann ist. Dieser Zweifel würde nach der Hochzeit nicht verschwinden. Er würde wachsen, bis Abneigung und schließlich Haß aus ihm entständen.»
    Aber sicher gab es doch niemanden, bei dem man überhaupt keine Zweifel hatte? Zwei gleiche Menschen gab es nicht, und niemand konnte einem anderen so ähneln, daß jeder Mißklang unmöglich war.
    Sie lehnte sich über die Reling und beobachtete, wie die vordersten Wellen an dem Bug des Schiffes abglitten wie dunkelgrünes Gelee. Der verschwommene Streifen vor ihr am Horizont, das war England. In drei Tagen würde sie am Horizont wieder einen Streifen sehen, das würde Frankreich sein, und bis dahin mußte sie einen Entschluß gefaßt haben. Liebte sie Pierre genug, daß die kleinen Eigenheiten, über die sie jetzt voller Nachsicht hinwegsah, sie niemals reizen — ja, wie Großmama gesagt hatte, ihre Liebe in Haß verwandeln würden? Es waren Dinge, die er tat, weil er Franzose war, und die sie deswegen nicht störten. Aber deutete die Tatsache, daß sie sie überhaupt bemerkte, nicht darauf hin, daß sie sie eines Tages sehr stören könnten? Es waren nur Belanglosigkeiten, aber man mußte sich mit ihnen auseinandersetzen. Er trug eine Perle in der Krawatte, häufig eine zweireihige

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