Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
Vom Netzwerk:
Krümmungen hinauf und immer weiter hinauf. Als Pierre hielt, stiegen sie an einem kleinen Platz aus, der mit Kopfsteinen gepflastert war, mit dunklen, unegalen Häusern ringsum. Von irgendwo kamen schwache Akkordeonklänge.
    «Sind wir nicht in der Nähe von Sacré Coeur?» fragte Mary und sah sich um.
    «Ja. Wir sind am höchsten Punkt von Paris.» Pierre griff nach ihrem Arm. «Hier geht’s lang.»
    «Wie herrlich frisch die Luft hier oben über der Stadt ist», sagte sie und wandte den Kopf, um die leichte Brise zu spüren, während sie über den Platz auf ein kleines, ziemlich schäbiges Café zugingen, vor dem es keine Markise und keine Tische gab und das eigentlich mehr wie ein Laden aussah. Durch die schmierigen Fenster fiel ein trüber Lichtschein. «Hier hinein?» fragte Mary überrascht.
    «Ich geh mal vor», sagte er, und sie folgte ihm in eine Wirtschaft, in der ein paar kräftige, schmutzige Männer über winzigen Gläsern mit Schnaps hockten und die Luft mit stinkenden Pfeifen und gelben Zigaretten verpesteten. Sie warfen nur einen gleichgültigen Blick auf Mary und Pierre, der dicke Mann hinter der Bar aber — mit fettigen Haarsträhnen quer über dem riesigen Schädel — begrüßte Pierre hocherfreut, zwängte sich durch die Klappe an der Theke, und führte sie durch eine mit einem Perlenvorhang verhängte Türöffnung auf der anderen Seite des Raumes hinaus. Sie standen plötzlich wieder im Freien, auf einer kleinen Terrasse, auf der es dunkel war, bis der patron zwei Lampen anknipste, die ein mattes Licht verbreiteten. Mary lief zu der niedrigen Mauer hinüber und blickte mit einem Ausruf des Entzückens hinab. Hinter den Dächern der Häuser unmittelbar zu ihren Füßen lag Paris. Die Stadt sah aus wie das Spiegelbild eines Sternenhimmels im Winter. Hier und dort funkelten die Lichter besonders hell — das waren die angestrahlten Bauten — , und die aufflammende Citroën-Reklame machte aus dem Eiffel-Turm eine Art Leuchtturm.
    «Gefällt’s dir?» fragte Pierre hinter ihr und legte seinen Arm um sie.
    «Wunderschön! Ich hab so etwas noch nie gesehen. Wie heißt das Lokal hier?»
    «Café Bellevue natürlich, wie sonst?»
    «Parfaitement. Café Bellevue, Mademoiselle», ertönte das Echo des patrons, der voller Eifer um sie herumsprang. Sie setzten sich an einen der Tische an der Mauer, Mary stützte die Ellenbogen auf die Brüstung und blickte hinab. Fasziniert vergaß sie alles um sich herum und genoß die zauberhafte Unendlichkeit dort unten.
    «He», brach Pierres Stimme in ihre Versunkenheit, «bist du mit mir zusammen oder mit Paris?»
    «Entschuldige.» Sie drehte sich um, und ihr Lächeln traf sich. Der dicke Mann war verschwunden, und auf dem karierten Tischtuch standen eine Flasche und Gläser.
    «Was ist das?» fragte sie mißtrauisch, als Pierre ihr Glas mit einem gelblichgrünen Likör füllte.
    «Spécialité de la maison. Das muß man hier trinken, ob man will oder nicht. Ich glaube, Jo-Jo würde dich über die Mauer hinunterwerfen, wenn du’s nicht tätest.» Er hob sein Glas, und sein Gesicht wurde plötzlich ernst.
    «Wie schön du bist», sagte er, «ich liebe dich.»
    So hatte er das noch nie gesagt, so ganz verhalten und leise. Er hatte oft gesagt: «Ich liebe dich», «je t’adore», «Tu est mon amour», und hundert andere Dinge leidenschaftlich und überschwenglich herausgesprudelt, aber dieses Mal war es, als entdecke er plötzlich zu seinem Erstaunen, daß er es ernst meine.
    Auch Mary hatte oft gesagt: «Ich liebe dich» und geglaubt, daß es wahr sei, aber dieses Mal sagte sie es nicht, weil sie plötzlich zu ihrem Erstaunen entdeckte, daß sie es vielleicht nicht ernst meine.
    «Danke, Pierre.» Sie sah vor sich hin und begann mit dem Finger die Karos auf der Decke nachzuziehen.
    «Ich finde, du solltest mich heiraten», sagte er. Sie fuhr fort, mit dem Finger an dem groben Baumwollfaden, wo sich die roten und weißen Karos trafen, entlangzufahren, und dabei versuchte sie, ihre überraschten Gedanken zu ordnen.
    «Sieh mich an, Mary — willst du?»
    «Ach, Pierre», sie sah auf, und das Herz wurde ihr schwer, weil er so gut aussah, und weil es so leicht sein würde, ja zu sagen. «Ich weiß es nicht, Liebster. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.» Wie konnte man, völlig unvorbereitet, eine solche Entscheidung treffen. Sie brauchte Zeit. Zeit, um in aller Ruhe und allein nachzudenken, ohne daß das ansteckende Lächeln von der anderen Seite des Tisches her

Weitere Kostenlose Bücher