Mariana
war geschafft. Sie würden alle beide nicht weinen. Der Kaffee kochte auf, Mary rührte ihn um und zog die Kasserolle vom Feuer. Sie lächelte still vor sich hin, während ihr der wohlriechende Dampf in die Nase stieg. Sie wußte jetzt, was sie tun würde. Sie brauchte sich wegen Pierre nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Die Entscheidung war für sie getroffen worden. Ein Gefühl der Macht durchströmte sie, als sie daran dachte, daß sie reich sein und das Geschick der Familie retten würde. Es war ein erhebender, wunderbarer Gedanke — es war ihr also doch bestimmt, Pierre zu heiraten. Es hatte nur dieses Anlasses bedurft, um ihr klarzumachen, daß sie damit das Richtige tat. Sie wollte es ihrer Mutter sagen, drehte sich um und öffnete schon den Mund, um ihr die Nachricht zu verkünden, da besann sie sich plötzlich eines Besseren und sagte statt dessen: «Wo hält diese alte Närrin eigentlich das Kaffeesieb versteckt?»
Sie würde es ihrer Mutter noch nicht sagen, nicht, solange die Geldfrage so im Vordergrund stand. Sonst würde sie einen Zusammenhang mit Marys Mitteilung wittern, und es würde noch schwieriger sein, als Mary es sich ohnehin schon vorstellte, sie zu der Annahme eines Darlehens zu bewegen. Außerdem wollte Marie erst mit Pierre sprechen. Im tiefsten Inneren konnte sie noch immer nicht glauben, daß er wirklich den Wunsch haben sollte, sie zu heiraten. Angenommen, sie käme nach Paris zurück und stellte fest, daß er seinen Entschluß geändert hatte? Dann würde sie schön dumm dastehen, wenn sie ihrer Mutter ihre Verlobung schon mitgeteilt hätte, zumal es damit auch halb London wüßte. Sie hörte förmlich das Summen der Telefondrähte. Und dann würde das Summen noch einmal von vorn losgehen, die Leute würden entzückt sagen: «Meine Liebe, ist das nicht traurig? Die arme kleine Mary ist sitzengelassen worden.» Oder: «Also wenn Sie mich fragen, ich glaube, sie hat das Ganze nur erfunden, um sich wichtig zu machen. Denken Sie an Freud — eine Form der erotischen Unterdrückung.» Bevor sie mit ihr fertig wären, hätten sie eine zweite Tante Winifred aus ihr gemacht, die man bemitleidet und über die man nur flüstert, in Anwesenheit der Dienstboten nur auf französisch.
Mary genoß die vier Tage in London. Jedes Mal, wenn sie ihre Mutter ansah, die sich nach dem kurzen Zusammenbruch in der Küche wieder vollkommen erholt hatte, empfand sie dieses prickelnde kleine Machtgefühl. Zu gern hätte sie gesagt: «Mach dir keine Sorgen mehr. Es wird alles gut. Ich werde schon alles in Ordnung bringen.» Es fiel ihr schwer, das Geheimnis zu wahren, aber sie brachte es fertig — vorsichtshalber. Nicht einmal Angela erfuhr davon, obwohl die Verlockung groß war, nachdem diese ihr von der «hinreißenden letzten Eroberung» in ihrer Männersammlung vorgeschwärmt hatte.
Am Sonnabend holte Mary sie vom Rockingham College ab. Hinein traute sie sich nicht, es wäre doch allzu beschämend gewesen, wenn man sie wieder wie eine Aussätzige behandelt hätte. Was hatte Rocky gesagt: «Wenn Sie es wagen sollten, das Haus noch einmal zu betreten —» Der Schatten seiner schreckeneinflößenden Gegenwart lauerte noch immer hinter den abblätternden Doppeltüren, die sich ab und zu öffneten, um entmutigte Gestalten — vertraute und unbekannte — hinauszulassen. Mary wartete schuldbewußt in der Tür eines Textilgeschäfts nebenan. Endlich erschien Angela. Sie war der erste Mensch, der lächelnd durch die Tür ging, begleitet von einem schäbig aussehenden jungen Mann, der sie anhimmelte. Er trug ihre Bücher, und hätte er sie im Mund gehalten, so wäre die Ähnlichkeit mit einem Spaniel vollständig gewesen.
Mary trat aus ihrem Versteck ,- dem Laden mit den rosa Büstenhaltern.
«Mary», schrie Angela und fiel ihr um den Hals.
«Komm bloß weg», drängte Mary und zog sie am Arm fort, «ich steh Todesängste aus, daß man mich hier sieht.» Der Spaniel stand unschlüssig neben ihnen auf dem Trottoir, als warte er, daß jemand das Zauberwort «Gäßchen gehen» aussprechen sollte.
«Ach, Dick», sagte Angela, und er sprang mit heraushängender Zunge auf sie zu. Angela stellte ihn Mary vor, und sie mußten den ganzen Weg bis Selfridges zusammen gehen, ehe sie ihn unter dem Vorwand, sich Unterwäsche zu kaufen, loswurden. «Bis morgen», sagte er zu Angela, und der Speichel troff ihm gewissermaßen vom Munde. Dann blieb er auf dem Trottoir stehen und sah ihnen nach, wie sie hineingingen. Die Frauen
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