Mariana
zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
«Und wo sind sie jetzt, Mabel?» fragte sie, denn die offene Tür rechts zeigte, daß das Wohnzimmer leer war. Sie würde sich kaum mehr wundern, wenn sie hörte, daß die beiden zusammen im Bett lägen.
«Im Garten», sagte Mabel mit rauher Stimme und warf den Kopf mit dem armseligen, fahlen Dutt in den Nacken. Mrs. Shannon und Mary stürzten gleichzeitig ans andere Ende der Diele, wo eine Tür über ein paar Eisenstufen in den Garten führte. Zusammen spähten sie durch die verglaste obere Hälfte der Tür. Es stimmte. Dort draußen saßen, Seite an Seite, in zwei schmutzigen Liegestühlen, Onkel Geoffrey und Lucienne. Sie hielten sich an der Hand.
«Los, komm», Mrs. Shannon stieß die Tür auf, und - wie ein Jagdhund auf der Fährte — klapperte sie die Stufen hinunter; Mary hinter ihr her. Als er sie kommen sah, sprang Onkel Geoffrey auf, etwas, was er noch nie getan hatte, und auch Lucienne erhob sich mit dem ihr eigenen Phlegma, stellte sich neben ihn und ergriff seine Hand. Mary fühlte sich an Greta Daniel erinnert.
Hatte Onkel Geoffrey schon vorher wie ein begossener Pudel ausgesehen, so blickte er jetzt wie ein ertappter Verbrecher drein. Er hatte die Zähne ängstlich in die Unterlippe gegraben und vermied es, ihrem Blick zu begegnen.
«Wer soll es ihnen sagen?» fragte Lucienne in ihrem klanglosen, sorgfältigen Englisch, «du oder ich?»
«Du. Sag du es ihnen», drängte Onkel Geoffrey, trat wie ein Schuljunge von einem Bein aufs andere und kicherte.
«Geoffrey und ich, wir haben uns verlobt», sagte Lucienne seelenruhig, und ein kleines Lächeln huschte über ihr Mondgesicht.
« Nein! » entfuhr es Mrs. Shannon ungläubig, und es gelang ihr gerade noch, ihre Fassungslosigkeit in freudige Überraschung umzumünzen.
«Ja, wir sind verlobt», bestätigte der glückliche Bräutigam, den Blick auf seine Füße geheftet.
«Ach, Onkel Geoffrey, das freut mich aber.» Mary umarmte ihn, wandte sich dann Lucienne zu und umarmte auch sie. Sie roch ganz sauber, das war wenigstens etwas, aber ihre Augen waren ausdruckslos und träge. Sie bewegte sich wie im Zeitlupentempo, mit einer Schwerfälligkeit, die befürchten ließ, daß man in ihrer Gesellschaft, wenn man sie zu ausgiebig genoß, schließlich ersticken würde wie unter einer Matratze.
«Warum habt ihr uns das nicht schon früher gesagt?» fragte Mrs. Shannon, nachdem sie, noch immer reichlich verwirrt, jedem einen flüchtigen Kuß aufgedrückt hatte.
«Lucienne mußte erst ihre Mutter um Erlaubnis fragen. Das ist so ein drolliger alter Brauch in Frankreich, hat was mit der Aussteuer zu tun», erklärte Onkel Geoffrey und lachte gequält. «Wir haben uns vor einer Woche entschlossen, aber sie wollte nicht, daß ich es euch erzähle, bevor sie zurück ist. Stimmt’s, Lucienne?»
Sie boten einen trübseligen Anblick, die vier, wie sie da verlegen auf dem schmuddeligen Rasenfleck standen und nicht wußten, was sie sagen sollten.
«Ich schlage vor, wir gehen hinein und stoßen auf eure Verlobung an», sagte Mrs. Shannon in einer plötzlichen Eingebung, aber drinnen stellte sich heraus, daß Lucienne keinen Alkohol trank, und ihr Anblick, wie sie mit einem Glas Orangeade in der Hand vierschrötig im Sessel saß, ließ die drei anderen ihren Cocktail nicht als festlichen Genuß, sondern als pure Verschwendung des Gins empfinden. Onkel Geoffrey wich noch immer den Blicken seiner Schwester und seiner Nichte aus und achtete sorgfältig darauf, daß er nicht mit ihnen allein im Zimmer blieb. Nach dem Abendessen verkündete Lucienne, daß er mit ihr ins Kino ginge, und so stand er auf, holte ihren Mantel von oben, und sie gingen.
«Ach, Mama, warum hat er das bloß getan?» machte Mary sich Luft, als die Haustür hinter ihnen zuschlug.
Ihre Mutter zuckte die Achseln. «Ich vermute, es ist ganz natürlich, daß er heiraten will», seufzte sie, stützte ihr kleines eckiges Kinn in die Hand und starrte düster ins Leere.
«Ja, und auch allerhöchste Zeit. Er muß ja bald fünfundvierzig sein. Aber warum denn gerade die?» Mary ging zum Fenster und betrachtete das Paar von hinten. Lucienne untersetzt, mit schwerem Schritt und kurzem, krausen Haar; Onkel Geoffrey dünn, mit staksigen Beinen, die Haare sorgfältig über die kahlwerdende Stelle am Hinterkopf gelegt. An der Ecke bogen sie in den Kings’s Road ein, und Mary wandte sich vom Fenster ab. «Warum gerade die?» wiederholte sie. «Er hatte doch immer eine
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