Mariana
einer Flasche. Er sah aus wie Onkel Lionel, sehr schmal, als sei er von beiden Seiten zusammengepreßt worden, und viel zu ausgemergelt, um Bier anzuzapfen oder Flaschenkästen umzukippen. «Whisky mit Ingwerwein. Gibt nichts Besseres», sagte er.
Mary versuchte es, und es schmeckte ihr. Onkel Lionel meinte, «ich bin so frei», als Sam ihm einen Drink anbot, und so überließ sie die beiden ihrem Sherry und ihrer Unterhaltung über Fußballvereine und ging hinüber zum Kamin. Mrs. van de Meyer schmollte auf ihrer Kirchenbank vor sich hin. Mary hatte ihr Glas halb ausgetrunken, als sie entsetzt feststellte, daß die Schmerzen wieder anfingen.
Zunächst so schwach, daß man sie nur spürte, wenn man einen so empfindlichen Leib hatte, der darauf reagierte wie ein nervöses Pferd auf den ersten Sporendruck. Vielleicht würden sie wieder vergehen, wenn sie sie nicht beachtete. Sie mußten vergehen. Ich muß ja fahren, und Mrs. van de Meyer würde sich schrecklich aufregen, wenn ich krank würde, und Sam Howard — also, Bauchschmerzen haben nun wirklich nicht gerade etwas Verführerisches an sich. Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf den Kaminsims und versuchte, sich auf eine Fotografie aus dem Jahre 1920 zu konzentrieren, auf der ein Mädchen mit einer Wespentaille und einem Glas Portwein in der Hand posierte.
«Wir wollen gehen, ja?» sagte Mrs. van de Meyer. «Ich kann’s gar nicht mehr erwarten, mein Haus zu sehen. Kommen Sie, meine Liebe? Sie haben ja noch nicht ausgetrunken. Schmeckt’s nicht? Das tut mir leid.»
«Nein, es war ausgezeichnet, wirklich, aber ein bißchen stark-» Mary schlich hinter ihr her, hinaus auf die kalte, steinige Landstraße. Sie waren auf den Höhen von Cotswolds, und die niedrigen Häuser gewährten keinen Schutz gegen den Wind, der über die graugrünen Felder fegte. Fröstelnd glitt sie auf den Fahrersitz. Es fiel ihr gerade noch ein, sich bei Sam für den Drink zu bedanken, bevor die Erkenntnis, daß der Schmerz ärger wurde, jeden anderen Gedanken auslöschte.
Es gibt Augenblicke im menschlichen Dasein, in denen man auf hört zu leben und nur noch vegetiert, in denen körperliche Pein und Qual so groß werden, daß sie jede andere Empfindung ausschließen. Man bewegt sich nur noch mechanisch, ein Körper ohne Geist, einer Kaulquappe ähnlich, ohne Erinnerung an die Vergangenheit, ohne Hoffnung für die Zukunft. Die Gegenwart bedeutet Ewigkeit und besteht aus Verzweiflung.
Wie sie es fertigbrachte weiterzufahren, bis ihr gesagt wurde, sie solle halten, wo sie zu Mittag aßen und in was für einem Hotel, davon hatte Mary später keine Ahnung. Es gelang ihr, sich — wenn auch mit leiser Stimme — ganz normal zu unterhalten, und zu allen Vorschlägen des Kellners, die sie gar nicht in sich aufnahm, sagte sie ja. Es war viel schlimmer als am Morgen. Ich bin wirklich krank, dachte sie mit einer gewissen grimmigen Befriedigung. Wenn ich nach Haus komme, werde ich richtig krank sein, muß ins Bett, der Arzt muß kommen, und so weiter. Dann wird es ihnen leid tun, daclite sie und betrachtete erbittert die beiden anderen, die so viel Unterhaltungsstoff zu haben schienen, daß sie ihr bedrücktes Schweigen gar nicht bemerkten. Obwohl sie alles nur mögliche tat, um ihre Nöte vor ihnen zu verbergen, kränkte es sie doch, daß es ihr gelang.
Sie ließ ihre Serviette zu Boden fallen, um sich unbemerkt zusammenzukrümmen, bis der schneidende Schmerz vorbeiging. Als sie wieder aufrecht saß, nahm sie plötzlich wahr, daß da vor ihr ein Teller mit etwas Undefinierbarem, Scheußlichem stand — ein fettes Gericht mit Sauce.
Sie schob eilig ihren Stuhl zurück. «Ich hab vergessen, mir die Hände zu waschen», murmelte sie, «Entschuldigung.» Sobald sie aus dem Speisesaal heraus war, fing sie an zu rennen, Treppen hinauf, einen schmalen Gang entlang wie auf einem Passagierdampfer, in wilder Jagd, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Wo, ach, wo war es bloß? Sie bog um die Ecke — oh, Gott sei Dank, das rettende Schild:
Das Mittagessen hatte sie leidlich überstanden. Als die Schmerzen abklangen, hatte sie in dem Essen herumgestochert und sogar eine Tasse lauwarmen schwarzen Kaffee getrunken, der nach jenem geheimnisvollen Rezept hergestellt war, das nur Provinzhotels kennen, die mit Sicherheit dafür sorgen, daß der Kaffee nach allem schmeckt — nach Kieswegen, Aloe, Holzkohle, Seife — nur nicht nach Kaffee. Den reinen, kräftigen,
Weitere Kostenlose Bücher