Mariana
hereindrang, ebenso wie ein paar Geräuschfetzen von der Hammersmith Road. Eine Zeitlang hörte man nur die langgezogenen Wimmertöne der , mit der Onkel Geoffrey sich abquälte, und Marys Stoßseufzer, während sie am Bleistift kaute, an den Nägeln knabberte, nicht vorhandene Haarsträhnen hinters Ohr strich und die Füße hinter die Stuhlbeine klemmte. Sie kam mit ihrer Entführungsszene nicht weiter.
«Hör mal, Onkel Geoffrey», sagte sie schließlich, «er hat sie jetzt bei sich im Schloß.»
«Wer, der Prinz? Sind sie denn schon verheiratet? Wenn nicht, kannst du sie auf keinen Fall zusammen im Schloß lassen. Denk an deine Tante Mavis... die bekommt Schreikrämpfe.»
«Unsinn, doch nicht der Prinz. Sir Egbert von Korsika, Er hat sie entführt, und jetzt bedroht er sie mit dem Tode, wenn sie ihm nicht ihr Jawort gibt. Und dabei weiß sie die ganze Zeit, daß Prinz Frederico auf dem schnellsten Weg zu ihrer Befreiung herbeieilt.»
«Ach so, jetzt versteh ich. Sie versucht also, Zeit zu gewinnen. Eine spannende Situation. Wie weit bist du? Was hat der Schurke zu ihr gesagt? Irgend etwas Schändliches?»
«Eigentlich noch nicht. Sie haben zu Abend gespeist — ich glaube, wir müssen bei der Aufführung richtiges Essen haben, findest du nicht? — und dann kommt der Butler (das ist natürlich Margaret) mit dem Portwein herein, und Sir Egbert sagt: Soll ich dir vorlesen, wie es weitergeht?»
«Unbedingt.» Onkel Geoffrey klimperte leise auf seiner Gitarre herum.
«Sir Egbert:
Chloe:
Sir Egbert:
Chloe:
Sir Egbert (zärtlich): Das hab ich aus einem Buch abgeschrieben, Onkel Geoffrey, aber das macht doch sicher nichts, wie?»
«Nicht das geringste. Du bist nicht die erste, die das tut. Lies weiter, es ist unerhört spannend.»
«Weiter bin ich noch nicht. Ich kann Frederico noch nicht eintreffen lassen, weil er einen Weg von hundert Meilen hat und erst vor dem Abendessen aufgebrochen ist. Er hat sich aus dem Hause geschlichen, während seine Eltern sich zum Essen umkleideten. Die sind nämlich mit der Heirat nicht einverstanden, verstehst du?»
«Ach so», Onkel Geoffrey überlegte. «Wie war die letzte Zeile?»
«Soviel Schönheit...»
«Richtig, ja. Darauf gibt es für sie nur eine Antwort: »
«Ja, das ist wunderbar. Und dann sagt er: » Mary schrieb, so schnell sie konnte.
«Nein, nein, allein genügt.» Onkel Geoffrey schlug einen Akkord an. «Mir wird so schwindlig», sang er plötzlich in hohen Falsettönen, «der Wein, der Portwein! Ihr habt mich betäubt.» (Greift sich mit der Hand an die Kehle.) «Paß auf», er setzte sich ganz aufgeregt auf dem Stuhl zurecht und warf Mary, die mit gezücktem Bleistift dasaß, einen Blick aber die Schulter zu. «Jetzt hab ich’s. Er hat sie betäubt, und während sie bewußtlos ist, läßt er den Pfarrer hereinkommen, der sie traut, und wenn sie wieder aufwacht, ist sie seine Frau, nolens volens, wie er selbst beiläufig bemerkt.»
«Aber wenn sie bewußtlos ist, dann kann sie doch nicht sagen.»
«Sir Egbert ist natürlich Bauchredner. Ich sage dir, das ist großartig. Sie taumelt, und während sie fällt, flattert ihr Taschentuch aus dem Fenster — du mußt es natürlich hinauswerfen — und bleibt an ein paar Efeublättern hängen...»
«Dort sieht es Frederico», sprudelte Mary los, «klettert die Mauer empor und steigt, das Taschentuch zwischen den Zähnen, durchs Fenster ein.» Sie sah Denys direkt schon vor sich. «Das ist fabelhaft. Aber jetzt sag nichts mehr. Ich will nicht, daß das ganze Stück von dir ist.» Sie begann eiligst draufloszukritzeln. «Wie schreibt man ?»
Um sechs Uhr gähnte Onkel Geoffrey, stellte seine Gitarre in die Ecke, reckte die Arme in die Höhe und sagte: «Ich geh nur mal eben über die Straße und trinke einen Schluck. Bei dieser Hitze hab ich einen unverschämten Durst.»
Mary winkte ihm, ohne aufzublicken, und als er zurückkam, saß sie mit hochrotem Kopf, zerzaustem Haar und triumphierender Miene zurückgelehnt in ihrem Stuhl. «Ich hab’s fertig», verkündete sie, sobald sie die Eingangstür zuschlagen hörte.
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