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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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versanken, wenn man quer durchs Zimmer zum Bett ging, in dem Großmama in Kissen gebettet in ihrem kleinen, gesteppten Bettjäckchen, das genau zu ihrer Daunendecke paßte, lag.
    Als sie dem Ei die Spitze abschlug, so geschickt, wie Onkel Geoffrey es ihr beigebracht hatte, lief es aus; es war wässerig und halbroh, genauso, wie sie es nicht ausstehen konnte. Die beiden anderen plauderten pausenlos miteinander und bemerkten gar nicht, daß Mary zu weinen anfing und mit ihrem Löffel blindlings in dem Ei herumfuhr, während große Tränen ihr Gesicht herunterrollten und auf den Teller fielen.
    Endlich sah ihre Mutter zu ihr hinüber. «Mary, warum hast du dir nicht die Hände gewaschen? Da klebt ja noch die halbe Eisenbahn dran. Aber was hast du denn, mein Herz?» rief sie, als Marys Tränen sich Bahn brachen und sie den Löffel fallen ließ und ihr Gesicht in den schmutzigen Händen vergrub.
    «Übermüdet», sagte Mrs. Shannon zu ihrem Bruder, während sie aufstand und um den Tisch herum zu Mary ging, und er antwortete: «Es schmeckt ihr nicht, daß sie wieder hier ist. Sicher hat sie Sehnsucht nach Charbury.»
    «Komm», sagte Mrs. Shannon und half Mary vom Stuhl herunter, «ich bring dich ins Bett. Das Abendbrot kannst du heute mal überschlagen. Morgen früh fühlst du dich wie neugeboren.»
    Und wirklich, als sie warm zugedeckt im Bett lag, ihren Teddybär, der sie überallhin begleitete, neben sich, war ihr schon besser zumute, und als sie nach zwölfstündigem Schlaf am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich wieder ganz wohl. Schnell und ganz zufrieden gewöhnte sie sich wieder an den Londoner Alltag und war viel zu beschäftigt damit, sich auf die kommenden Sommerferien zu freuen, als daß ihr Zeit geblieben wäre, den vergangenen Ferientagen nachzutrauern.
    Ein Jahr mußte Mary noch in , der anspruchslosen Schule am Cormwell Road, bleiben, dann sollte sie, falls sie die Aufnahmeprüfung bestand, in eine große, teure Privatschule in Kensington gehen. Ihr Großvater würde das Schulgeld bezahlen, aber davon wußte sie zu dieser Zeit noch nichts. Sie wußte nur, daß ihre Mutter eines Tages von ihrem Halbjahreszeugnis aufgeblickt und gesagt hatte: «Ich fürchte, mein Liebling, du gehörst nicht zu denen, die Stipendien bekommen. Falls du nach St. Martin’s gehen wirst — und ich wünschte es mir sehr für dich — , dann werden wir unseren Stolz in die Tasche stecken müssen.»
    Daß sie nicht klug war, störte Mary nicht im geringsten. Bei einigen Mädchen in war sogar, wie Mrs. Linney von Tante Winifred sagte, eine kleine Schraube locker, und Cicely Barnard konnte nicht einmal ihren Namen schreiben und hatte strenges Verbot, die Toilettentür abzuschließen. Mary hatte in dem Prospekt von St. Martin’s jedoch gelesen, daß der Sport einen breiten Raum im Lehrplan einnähme, und sie hatte Aufnahmen von Mädchen gesehen, die Beine wie Würste hatten und sich mit Lacrosse-Schlägern durch die Gegend jagten. Das stimmte sie etwas besorgt. In bestand der Sportunterricht darin, daß man zweimal in der Woche je nach der Jahreszeit entweder Hockey oder Kricket spielte, und zwar unter der Aufsicht einer rotwangigen, rothaarigen jungen Lehrerin, die mit einer Trillerpfeife ausgerüstet war und Miß Treadwell hieß. Mary war Captain der Kricketmannschaft — die einzige Auszeichnung, die sie je errang.
    Der Schulunterricht in war sehr unterschiedlich. Manche der Lehrerinnen waren ausgezeichnet, während es bei anderen gerade noch für Bastarbeiten und Lampenschirmmalerei reichte. Sie gerieten aus der Fassung, wenn sie mit Fragen konfrontiert wurden, deren Antwort in keinem Lehrbuch stand. Glücklicherweise war die Englischlehrerin eine von ihrer Aufgabe begeisterte alte Dame mit schneeweißem Haar, auf deren taftverhülltem Busen ein goldener Bleistift an einer langen Kette auf und ab hüpfte. Es gelang ihr, auch Begeisterung der Kinder für die Bücher und Gedichte, die sie mit ihnen durchnahm, zu entfachen; und anstatt ihnen Aufsatzthemen wie oder zu geben, ermutigte sie sie, Abenteuergeschichten, Märchen, oder was sie sonst gern wollten, zu schreiben. Mary war davon so angetan, daß sie sich lauter Oktavhefte kaufte, die sie in ihrer Freizeit mit Geschichten blutrünstiger Verbrechen und brennender Leidenschaften füllte. Diese Geschichten hatten zwar nie einen Schluß, aber der Anfang war

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