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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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bleiben. Sie war noch nicht oft in einem Restaurant gewesen, nur bei , und das war etwas ganz anderes, weil sie dort immer mit Großpapa hinging, der da zu Hause war. Und im war es auch etwas anderes, weil bei der dort herrschenden Fülle niemand von ihr Notiz nahm. Sie trottete hinter Onkel Geoffrey her, der mit vollendeter Nonchalance das Lokal betrat. Hier war es noch viel heißer und stickiger als draußen. Die Luft war zum Schneiden dick in dem rauchigen, von Stimmen und Lärm erfüllten Raum, in dem es köstlich nach Essen duftete. Sie mußten das ganze Lokal durchqueren, um zu ihrem Tisch zu kommen, und Mary hatte das Gefühl, als ob sie die Blicke aller wie glühende Pfeile durchbohrten. Hätte ich doch bloß meinen guten Mantel angezogen, dachte sie. Onkel Geoffrey blieb stehen und sprach mit einem Mann, der Spaghetti aß. Mary, die hinter ihm stand, versuchte inzwischen so zu tun, als sei sie gar nicht da. Es verursachte ihr ein kribbelndes Unbehagen, stehen zu müssen, wenn alles um sie herum saß. Endlich erreichten sie den schützenden Hafen in Gestalt eines roten Plüschsofas, ein Tisch wurde über ihre Knie geschoben, und jetzt konnte Mary sich mit mehr Gelassenheit im Raum umsehen. Der Kellner wedelte eindrucksvoll mit seiner Serviette, und mit dem letzten Schlenker zauberte er die Speisekarte vor sie hin, auf der sämtliche Gerichte der Welt zu stehen schienen.
    «Was gibt es denn?» Onkel Geoffrey, dessen Unterlippe jetzt völlig verschwunden war, klemmte sich sein Monokel ins Auge und sah zu dem Kellner auf.
    «Was wünschen Sie denn, mein Herr?» antwortete der Kellner, stützte die Fingerspitzen der einen Hand auf den Tisch und lehnte sich leicht gelangweilt zurück.
    «Was möchtest du haben, Kleines?» wandte sich Onkel Geoffrey an Mary und schlug mit dem Handrücken leicht gegen die lange Speisekarte. «Du kannst dir aussuchen, was du willst.»
    «Tomatensuppe», sagte Mary und zeigte mit dem Finger auf die Karte. «Oh —», sie sah ihn zweifelnd an und flüsterte: «Kostet einen Schilling. Ist das zu teuer?»
    Er lachte sie aus. «Ich habe dir gesagt, wir speisen heute abend auswärts, und was es kostet, ist egal. Aber Tomatensuppe bei dieser Hitze —»
    «Ach ja, bitte. Die ist so erfrischend.»
    «Na schön, du mußt sie ja essen. Also erst mal eine Tomatensuppe, und ich fange mit den Hors d’œuvres an.» Es dauerte lange, bis sie die weiteren Gänge ausgesucht hatten, aber schließlich, nach langem Hin und Her und etlichen Änderungswünschen von Mary, einigten sie sich auf Lachsmayonnaise, gedämpfte Nierchen mit Erbsen und Kartoffelbrei, und den Abschluß würde höchstwahrscheinlich ein Eis bilden. Schwierigkeiten bereitete die Frage, wann man die Sardinen auf Toast zu sich nehmen sollte. «Vielleicht zum Schluß»; schlug der Kellner vor, zog die Augenbrauen hoch, verbeugte sich und entschwand.
    Onkel Geoffrey zog ein riesiges, buntes Taschentuch heraus und trocknete sich das Gesicht ab. «Das hätten wir, Gott sei Dank. In dieser Hitze; bringt mich schon die kleinste Anstrengung zum Schwitzen.» Er klemmte sein Monokel zur Abwechslung ins andere Auge und wandte sich Mary zu.
    «Trinkt Ihr ein Glas Wein mit mir, Prinzessin Chloe?»
    «Ich weiß nicht recht, Sir Egbert», kicherte Mary.
    «Champagner, Burgunder, Rum-Punsch, Apollinaris — Ihr braucht nur einen Wunsch zu äußern, und er wird erfüllt.»
    «Könnte ich wohl ein Glas Apfelwein haben?»
    «Warum nicht? Aber bei dieser Hitze wirst du wahrscheinlich blau wie ein Veilchen davon werden.» Vor ihm stand ein hohes Glas, das von der Kälte des goldgelben Bieres ganz beschlagen war. Das trank er in einem Zug aus und bestellte sofort ein neues. «Ah, jetzt ist mir schon besser», sagte er, setzte das schon wieder halbgeleerte Glas ab und begann, sich mit wachsendem Interesse umzusehen. «Sieh mal, eine tolle Frau da drüben», sagte er, während Mary mit ihrem Löffel in die Tiefe der Cremesuppe tauchte. «Die ist ganz große Klasse.» Er seufzte und blickte verträumt durch den Raum, eine Sardine schlängelte sich derweil wehmütig von der erhobenen Gabel auf den Teller zurück. Mary sah auf, konnte aber an der Frau nichts Besonderes finden, wenn man davon absah, daß sie blutrote Lippen in einem kalkweißen Gesicht hatte und einen riesigen Hut mit einem Schleier trag, und so wandte sie sich wieder ihrer Suppe zu.
    «Weißt du was, Kleines», sagte Onkel Geoffrey, als er sich den russischen

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