Mariana
Saint’s> durch einen Schlag auf die Hand verletzt wurde, kamen Mary und Muriel am nächsten Tag kichernd mit einem Verband an der linken Hand in die Schule.
Wenn Mary während der Ferien ganz in ihrer anderen Welt versank, erzählte sie Denys von allem, was in St. Martin’s geschah, nur von Avril Goss sagte sie kein Wort. Obwohl er seinerseits viel von seinem Idol, dem älteren Thompson, sprach, fürchtete sie, er könne sie für töricht halten oder gar für treulos. Es würde vielleicht schwierig sein, ihm klarzumachen, daß die Affäre Goss nur dazu da war, dem öden Schuldasein einen gewissen Reiz zu verleihen und nicht das geringste mit ihrer Liebe zu ihm zu tun hatte.
Das zweite Semester verbrachte sie hauptsächlich damit, sich in Türnischen zu verstecken oder um irgendwelche Ecken zu verschwinden, entweder um Avril vorbeigehen zu sehen oder um Muriel zu entwischen. Die Gespräche ihrer drehten sich fast ausschließlich um Erlebnisse auf der Vorortbahn, wie sie entweder ihre Monatskarte vergessen hatte oder aus Versehen bis Richmond weitergefahren war. «Das war doch irrsinnig komisch, nicht wahr, Mary?» Auch der Frühling schien ihren Mundgeruch nicht zu verbessern.
Mary brauchte lange, um sie abzuschütteln. Einmal hatte sie sie, leider allzu impulsiv, zum Tee mit nach Hause genommen. Mrs. Shannon war noch nicht aus ihrer Schule zurück, und Onkel Geoffrey mußte nach einem einzigen Blick auf Muriel ganz plötzlich weg, um sich mit einem Mann über die Hinterbeine eines Pferdes zu unterhalten. Die beiden Mädchen saßen allein am Teetisch, den Mrs. Duckett noch gedeckt hatte, bevor sie nach herzlichem Abschied verschwand, um nach Fulham zu fahren. Muriel aß alles auf, was sie ergattern konnte, und stellte unentwegt Fragen: «Sind das deine Vögel? War das dein Onkel? Warum habt ihr nicht mehr Bilder an den Wänden? Wir haben in Sheen ein großes Klavier im Wohnzimmer.» Mary bemerkte zum erstenmal, wie schmutzig Muriels Hals war. In der Schule fiel das irgendwie nicht weiter auf.
«Was möchtest du jetzt machen?» fragte sie Muriel, als sie Tee getrunken hatten. Sie fühlte sich unbehaglich. Muriel paßte nicht hierher. Niemand, das wurde ihr klar, paßte hierher, der sich nicht ebenso selbstverständlich wie die Möbelstücke ausnahm.
«Ist mir egal», sagte Muriel und schleuderte mit einer für sie typischen Bewegung ihren Zopf über die Schulter und wieder zurück. «Ich weiß was», kicherte sie dann, «wir schreiben einen Brief an Avril und legen ihn morgen auf ihren Schrank. Sie wird nie rauskriegen, von wem er ist. Ja, wollen wir das machen?»
«Nein», sagte Mary, «das wollen wir nicht.» Avril gehörte genausowenig hierher wie Muriel. Sie sollten am besten beide zeitlebens in St. Martin’s eingekerkert werden. «Wir wollen lieber unsere Schularbeiten machen», sagte sie, «wir haben für morgen eine Menge Geometrie auf.» í Sie fing an, den Tisch abzudecken. Muriel sagte nur: «Ach, du deckst den Tisch selbst ab? Bei uns in Sheen, da —» und machte keinerlei Anstalten, 3 ihr dabei zu helfen. Sie legten ihre Hefte, Bücher und Federkästen auf den Tisch am Fenster. Muriel hatte einen tollen Federkasten mit einem ganzen Sortiment von Federn und Bleistiften aller Farben; auf dem Deckel standen ihre Initialen. Außerdem hatte sie ein Lederetui mit so vielen geometrischen Instrumenten, daß sie für die Baupläne zur Vergrößerung der St. Paul’s Kirche ausgereicht hätten, und oben an ihrer Tunika trug sie einen schwarzen Füllfederhalter. Mary, deren Wünsche sich bisher auf einen abgekauten Bleistiftstummel, einen Ersatzstummel, ein tintenbekleckstes Lineal und einen Zirkel, dem die Schraube fehlte, beschränkt hatte , fühlte sich dadurch irritiert. Außerdem kam sie mit ihrem Lehrsatz nicht zurecht.
«Kriegst du die erste raus?» fragte sie Muriel.
«Mit der bin ich lange fertig. Die ist ganz leicht. Ich bin schon bei Nummer drei.»
«Sei ein Engel und sag mir, wie ich das machen muß.»
«Das kann ich nicht, das wär ja geschummelt.»
«Wenigstens einen Tip könntest du mir doch geben», sagte Mary verbittert und erinnerte sich dabei, wie oft sie Muriel über die Schulter von Felicity Peters, die vor ihnen in der Klasse saß, hatte schielen sehen.
«Na schön, ich glaube, das kann ich machen. Du mußt eine Linie im rechten Winkel zur Grundlinie des Dreiecks ziehen, mehr sag ich dir nicht.»
«Das nützt mir überhaupt nichts», sagte Mary wütend und
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