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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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waren am Ende des Weges angelangt, er drehte sich um und ging, an dem Gebäude entlang, den Weg zurück. «Jedes blöde Wort! Verstehst du denn nicht, Mary? Sieh mal, es ist schäbig von mir, das zu sagen, aber du zwingst mich dazu — verstehst du denn nicht, daß das alles damals ganz anders war? Ich war ja noch nicht einmal erwachsen, ich kannte auch gar keine anderen Mädchen. Abgesehen davon sind wir doch Vetter und Kusine. Seine Stimme klang, als schämte er sich, aber Mary weinte so bitterlich, daß sie kaum hörte, was er sagte. «Also bitte», er blieb wieder stehen und sah sie ratlos an, «höre um Himmels willen auf zu weinen, Mary. Du stellst mich ja hin, als ob ich der größte Schuft wäre. Hier, nimm mein Taschentuch.» Er warf es ihr zu. «O Gott, ich fühle mich miserabel», sagte er und legte sich die Hand auf die Stirn. «Sag mal, bin ich betrunken oder du?»
    Jetzt verlor Mary jede Selbstbeherrschung. Sie zerknüllte das Taschentuch in der Hand, ohne sich die Tränen abzuwischen. «Du Biest, du Biest, ich hasse dich. Ich will nur noch eins wissen», fragte sie, «liebst du mich oder liebst du mich nicht? Wenn du mich nicht liebst, dann sage es. Na los, sag’s doch schon.» Sie kreischte fast, während er stumm und hilflos vor ihr stand. «Sag es — na los!»
    «Also gut, du willst es ja nicht anders.» Sein Gesicht war ganz verzerrt vor Wut. «Wenn du’s unbedingt hören willst: Nein!» Er schleuderte ihr das Wort entgegen, und im nächsten Moment war er fort. Sie hörte nur noch seine Schritte, als er über die Steinstufen ins Haus lief, ein dumpfes Poltern auf den Holzdielen, das Zuschlägen einer Tür — dann war sie allein. Um sie herum war es still und dunkel. Irgendwo rief eine vergnügte und nicht mehr ganz nüchterne Männerstimme etwas, das mit schallendem Gelächter quittiert wurde, dann war es wieder still. Aus der Ferne drang der hämmernde Rhythmus der Musik an ihr Ohr.
    Sie setzte sich in ihrem hübschen weißen Kleid auf die Stufen und tupfte sich die Augen mit dem Taschentuch ab. Sie konnte nicht mehr weinen. Nach einer Weile stand sie ganz apathisch auf und schlich über den Rasen zur Garderobe. Sie wandte ihr Gesicht ab, um den neugierigen Blicken der Garderobenfrau, die ihr Mantel und Tasche gab, zu entgehen. Den Mantel über die Schultern gehängt, ging sie zum Ausgang. Sie hatte sich nicht einmal mehr die Nase gepudert.
    «Ein Taxi, Miß?» fragte der Portier etwas überrascht.
    «Nein, danke.»
    «Bleiben Sie denn nicht zum Photographieren, Miß? Das ist aber jammerschade.» Sie schleppte sich die Stufen hinunter und ging die Straße entlang. Ihre Beine zitterten, und sie hatte entsetzliche Kopfschmerzen. Als sie an die Kreuzung kam und die Straße hinuntersah, bemerkte sie im Osten am Horizont einen fahlen Lichtschein. Die Dunkelheit ging fast unmerklich in die Morgendämmerung über. Langsam wurde es Tag. Ja, heute und morgen und übermorgen — endlose Tage voller Reue, in denen sie darüber nachdenken konnte, wie töricht sie gewesen war.
    Als sie in ihr Zimmer kam, brachte sie es nicht über sich, ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten. Sie warf ihre Sachen ab und kroch ins Bett, die Vorhänge hatte sie zugezogen, um das Licht des anbrechenden Tages fernzuhalten. Ihr schönes weißes Kleid, das zusammengeknüllt halb auf einem Stuhl, halb auf dem Fußboden lag, schimmerte vage in der Dunkelheit. Mary taten die Augen weh, und ihre Lider waren geschwollen, aber sie konnte nicht einschlafen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Bleischwer schien er sich tiefer und tiefer ins Kissen zu pressen, ihr war , als ob sie versänke — versänke — ins Nichts. Plötzlich — klick — wurde Licht gemacht, das den Raum grell beleuchtete, und da stand Greta in all ihrer Selbstgefälligkeit, ihre Haare waren zerzaust, ihr Gesicht glühte wie eine Tomate. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihr Kleid wieder über die Schulter hinaufzuziehen. Sie brannte darauf, Georges pseudoreligiöse Sex-Bedürfnisse in allen Einzelheiten zu erörtern, aber Mary drehte sich mit einem Ruck auf die andere Seite, tat, als ob sie schliefe, und antwortete nicht, als Greta die Unterhaltung begann: «Also, ich muß schon sagen — hoffentlich hast du dich ebensogut amüsiert wie ich», und «George hat gesagt, ich gefalle ihm großartig in dem Kleid, aber noch besser würde ich ihm ohne gefallen. Ein Schlimmer, was?»
    Schon ziemlich früh erwachte Greta in bester Stimmung und bestellte sich

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