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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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dem machen können.»
    Das war zuviel. Warum konnte sie das nicht jemandem geben, der seine Arme und Beine in grotesker Weise zu verrenken verstand? Mary fiel nichts weiter ein, als in der herkömmlichen Pantomimen-Art mit gespreizten Fingern die Luft zu durchbohren und auf Zehenspitzen zu trippeln, wobei sie ab und zu stehenblieb, um eine -Pose anzunehmen. Sie fühlte, wie sie dunkelrot wurde, Hitzewellen überkamen sie, als stünde sie vor einer offenen Ofentür, und so schnell wie nur irgend möglich beendete sie ihre Darbietung.
    Sie stellte sich wieder an die Wand und warf einen düsteren Blick auf Miß Dallas. Die gab mit unverminderter Munterkeit jedoch nur ein «So» von sich und wandte sich dann voller Vorfreude Lola Stubbs zu, die mit vorgewölbter Brust und blitzenden Zähnen eine Pfeil- und Bogen-Szene hinlegte.
    Um halb elf verließen die Mädchen geschlossen den großen, kahlen Raum, und im Vorbeigehn machten sie einen nachlässigen, ungeschickten oder auch schwungvollen Hofknicks vor Miß Dallas. Auf dem Weg in die Garderobe mußten sie sich ihre Mäntel umhängen, damit die männlichen Schüler sie nicht etwa im Trikot sähen.
    In der Garderobe roch es nach Schminke, Schuhen und nassen Regenmänteln. Mitten in dem Gewimmel zog Mary sich Rock und Bluse aus und stellte angewidert fest, daß Margaret O’Gormans Unterwäsche dringend einer Behandlung mit Rinso’s Blitzseifenflocken bedurfte.
    «Was kommt jetzt dran, Angela?» fragte sie, als diese ihr schöngeschnittenes Gesicht durch den Ausschnitt ihres Kleides zwängte.
    «Rezitation!»
    «Doch nicht etwa bei Rocky?»
    «Hm. Deshalb lege ich ja so dick Lippenstift auf.»
    «Das wird dir schon was nützen. Der mag doch nur die Jungens.»
    Alle beleidigten, verunglimpften oder verhöhnten Julius Rockingham hinter seinem Rücken, aber in seiner Gegenwart waren sie alle wie gelähmt vor Angst. Er war fast sechzig, sehr groß und hager, hatte ein zerfurchtes Asketengesicht mit einer riesigen Nase, die früher, bevor er die Bühnenlaufbahn aufgab, um zu unterrichten, die Wirkung seines sonst sehr eindrucksvollen Profils beeinträchtigt haben mußte.
    Seine Methode, die er «die Ecken abschleifen» nannte, grenzte an Sadismus. Er ließ an seinen Schülern, besonders an den Mädchen, kein gutes Haar, bis sie am Ende vor lauter Beschämung fast in den Boden sanken. Hatten sie den von ihm gewünschten Tiefpunkt erreicht, so fing er an, sie ganz langsam nach seinen Vorstellungen wieder aufzubauen. Aus freiem Antrieb und voller Ambitionen hatten sie seinerzeit die Schwelle seiner Schauspielschule überschritten, um drei Jahre später ohne alle Illusionen, aber mit der Neigung, sich tödlich ernst zu nehmen, wieder hinauszutaumeln. Bei der Hälfte von ihnen war — glücklicherweise — die Sehnsucht nach der Bühne für immer verflogen. Von den anderen, zu denen seine Favoriten gehörten, gelang es einigen, mit oder ohne seine Hilfe, bei einem Provinztheater unterzukommen oder auf eine Tournee zu gehen. Die übrigen verbrachten ihre Jugend damit, bei Agenten anzuklopfen, Statisterie beim Film zu machen oder ihre sogenannte Unschuld für eine stumme Rolle oder einen Auftritt im Kabarett zu opfern. All dies kam Mary allmählich zum Bewußtsein. Sie sah langsam ein, daß Onkel Geoffrey recht gehabt hatte. Sie gehörte nicht hierher, aber da es ihre Idee gewesen war, konnte sie das unmöglich zugeben. Sie hatte schon ziemlich bald entdeckt, daß aus ihr nie eine Schauspielerin werden würde, aber sie kämpfte weiter; sie schwamm im Kielwasser von Angela, die ebenso begabt wie schön war, und abgesehen von den Augenblicken der Angst und Erniedrigung war es in der Schauspielschule ja ganz amüsant.
    Und so war sie wenigstens über die Sache mit Denys hinweggekommen. Jetzt konnte sie in seiner Gegenwart schon beinah ganz natürlich sein, und ihr Herz machte nicht mehr einen so qualvollen Sprung, wenn sie ihm unvermutet irgendwo begegnete. Zuerst hatte sie geglaubt, ihr Herz sei tot. Sie hatte sich gesagt, daß sie nach diesem Erlebnis innerlich ausgebrannt sei, eine Frau, die nie wieder Liebe empfinden könne — eine tragische Figur. Diese Vorstellung hatte ihr Kraft gegeben und ihr über die Trostlosigkeit des letzten Sommers hinweggeholfen, bis die Schauspielschule mit all dem Neuen und Aufregenden ihre Gedanken ohnehin ablenkte. Sie hatte ihrer Mutter nichts von Denys erzählt, aber sie hatte den Verdacht, daß sie es trotzdem wußte. Es

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