Mariana
schreien, wenn ich dir einen Kuß gebe», erkundigte er sich.
«Allerdings», sagte sie und fragte sich, ob sie das wirklich tun würde. Obwohl es noch früh am Abend war, schien bereits jeder jeden zu küssen. Auf der Suche nach einem Platz waren sie an unzähligen sich umarmenden Gestalten vorbeigekommen, und die Luft war voll von Seufzern. Man kam sich beinah töricht vor, wenn man hier draußen saß und sich nicht küßte.
«Ich glaube, wir müssen zurück», sagte Mary und stand auf. Sie betrachtete ängstlich ihr Kleid, ob der Gartenstuhl auch keine Flecke hinterlassen hatte. «Den nächsten Tanz hab ich Denys versprochen.»
Peinlich war nur, daß sie ihn nirgends finden konnte und Nick nur dadurch los wurde, daß sie in die Damengarderobe ging. Hier stieß sie auf Greta, die sich von einer abgehärmten Frau im schwarzen Kleid eine Rüsche an ihrem Taftkleid festnähen ließ. «Besser kann ich es nicht», sagte die Frau und riß mit einem Seufzer den Faden ab. «Das müssen Sie sich noch mal richtig annähen lassen.» Damit steckte sie die Nadel zu etlichen anderen an ihren Busen zurück.
«George hat die Rüsche abgerissen», teilte Greta Mary stolz mit, «frech von ihm, was?»
Mary grauste es. «Was sagt denn die dazu», fragte sie mit matter Stimme.
«Ja, das ist so —» Greta folgte ihr zum Spiegel hinüber, «wenn man eine Weisung empfängt, dann muß man sie ausführen. Und George hat die Weisung empfangen, mich wahnsinnig zu lieben. Willst du wissen, was er zu mir gesagt hat?»
«Nein, danke», wehrte Mary ab, «ich bin ja kein Mitglied der Gemeinschaft.»
War Greta, wie sie sie bisher kannte, schon schlimm genug gewesen, so war diese neue, zu Geständnissen bereite Greta noch viel schlimmer. Es gab offenbar nichts für sie, nicht einmal das Thema Sex, über das sie sich nicht selbstgefällig zu verbreiten wußte. Mary machte, daß sie hinauskam, verlief sich in den Klostergängen und fand endlich zu ihrer Erleichterung den Weg in die Bar, wo sie Denys mit zerzausten Haaren, lachend und trinkend, inmitten vieler Leute entdeckte.
«Hallo, Liebling», begrüßte er sie, «wo hast du denn gesteckt? Ich habe schon gedacht, Nick hätte dich entführt. Komm, wir tanzen.»
Er kam ein paarmal aus dem Takt und wirbelte sie herum, schneller und schneller, er war außer Rand und Band, lachte, und eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn. Sie dachte an jenen verrückten Nachmittag zurück, damals auf dem Dachboden in Charbury, als sie beide von der schwülen Gewitterluft wie betrunken waren. Nach dem Tanz ging er mit ihr hinaus in den Garten, aber so, wie er sie heute küßte, das gefiel ihr ganz und gar nicht. Jetzt waren sie nur noch zwei eng verschlungene Gestalten, an denen die andern kichernd vorbeistolperten auf der Suche nach einem Plätzchen, wo sie sich ebenfalls umarmen konnten.
«Denys, könnten wir nicht wieder in dein Zimmer gehen?» fragte sie, aber das war verboten und außerdem war es Zeit, etwas zu essen.
Es gab wieder Sekt und alle möglichen, wenig appetitlich aussehenden Speisen, in denen die meisten mehr herumstocherten als daß sie sie aßen.
Denys küßte sie vor allen anderen mitten auf den Mund, was sie abscheulich fand. «Laß das», sagte sie wütend, aber er lachte nur und zog sie mit sich fort zum Tanz. Während sie noch tanzten, wich die unbekümmerte Stimmung, in die der Sekt sie versetzt hatte, wie mit einem Schlag von ihr. Sie fiel in sich zusammen, war plötzlich todmüde, und es war ihr erbärmlich zumute, weil Denys sie in all ihren Erwartungen enttäuscht hatte. Als der Tanz dann zu Ende war, fühlte sie einen schrecklichen Augenblick lang nichts als Langeweile. Sie wollte nicht mehr in den Garten und sich küssen lassen, und sie wollte auch nichts mehr trinken. Denys wiederum war nicht in der Stimmung, sich zu unterhalten, also was sollten sie anfangen? Sie langweilte sich. Es war schrecklich, es kam ihr wie ein Verrat vor, sich in Gegenwart des Menschen zu langweilen, den sie liebte.
Sie liefen ein paar Freunden von Denys in die Arme, und Mary gab sich möglichst übermütig und amüsant. Witzig zu sein, war nicht ihre Stärke, aber das war auch gar nicht notwendig. Einer der Jünglinge, mit einem Anflug eines Schnurrbärtchens, ein netter, sportlicher Typ, der dauernd Späße machte, fragte, «Hast du was dagegen, Denys?» Sie kam sich plötzlich sehr überlegen vor, weil sie erkannte,
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