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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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Würstchen zum Frühstück. Mary hingegen, die wie betäubt geschlafen hatte, fand nur höchst widerwillig aus ihrer Umnebelung zur Wirklichkeit zurück, in der sie — nach dem, was geschehen war — nur Trostlosigkeit erwartete.
    «Mir ist nicht gut», teilte sie Greta mit, «ich nehme einen früheren Zug. Wir fahren getrennt zurück.»
    «Ausgeschlossen», sagte Greta und sprang in einem lila Schlafanzug mit engen, kurzen Hosen aus dem Bett. «Ich kann dich doch nicht allein fahren lassen, wenn du dich nicht gut fühlst. George wird eben auf seinen Spaziergang am Fluß verzichten müssen.»
    «Auf keinen Fall», sagte Mary gereizt, «ich möchte lieber allein fahren.» Sie begann, ihre Sachen in den Koffer zu werfen.
    «Ach so», sagte Greta und widmete sich ihren Würstchen, «du hast einen Kater, was? Ich weiß, was du brauchst — Natron.»
    «Hör bloß auf, sonst wird mir schlecht», knurrte Mary und stopfte ihre Pantöffelchen so gewaltsam in den Koffer, daß die Sohlen fast zerbrachen.
    Greta biß in ihren Toast, daß es krachte. Mary hob ihr hübsches weißes Kleid auf und faltete es schlecht und recht irgendwie zusammen. Unter dem Kleid, auf dem Stuhl, lag ein zerknüllter weißer Ball — Denys’ Taschentuch. Wieder kamen ihr die Tränen. Sie steckte das Taschentuch schnell neben die Pantoffeln und warf ihr Kleid obenauf.
    Auch nachdem sie sich zurechtgemacht hatte, sah ihr Gesicht noch immer ganz verquollen und unschön aus.
    «Du siehst wirklich mies aus», sagte Greta, die sich in ihrem grünen Kimono im Zimmer zu schaffen machte. «Schade, daß ich kein Fieberthermometer bei mir habe, ich würde dich gern mal messen.»
    «Mir fehlt nichts», sagte Mary und stülpte sich den Hut auf. «Auf Wiedersehen.» Sie ergriff ihren Koffer und streckte Greta die Hand hin. «Ich muß rennen, sonst verpasse ich den Zug.»
    «Leb wohl, Mary. Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder. Du mußt zu unserer Hochzeit kommen.»
    Als Mary unten im Hotel ihre Rechnung bezahlte, übergab ihr der Empfangschef einen Brief. «Ein Herr hat den heute morgen für Sie abgegeben, Miß.»
    Es war Denys’ Handschrift. Im Film würde sie jetzt den Brief ungeöffnet wegwerfen, und später würde sich herausstellen, daß er einen Heiratsantrag enthalten hatte, und alles würde ein glückliches Ende nehmen. Aber da das hier kein Film war, öffnete sie den Brief im Zug und las:

    «Liebe Mary, ich kann Dir nur sagen, daß es mir sehr leid tut. Ich hoffe, wir bleiben trotzdem Freunde. Aber ich verstehe auch, wenn Du mich nicht wiedersehen willst.
    D.»

    Plötzlich erwachte ihre Entschlußkraft. Sie zerriß den Brief in lauter kleine Stücke, warf sie aus dem Fenster und sah ihnen nach, wie sie — während der Zug sein Tempo beschleunigte — schnell davonflatterten.
    Sein Taschentuch hob sie noch lange ganz hinten in einem Fach ihres Schreibtisches auf.

6

    «Also, meine Damen, wir wollen jetzt mit ganz einfachen Bewegungen sechs Empfindungen ausdrücken: , , , , , ! Bitte alle auf die Knie. Beginnen Sie mit gesenktem Kopf, heben Sie ihn allmählich immer höher, und bei werfen Sie ihn weit zurück.» Miß Dallas schleuderte ihren so schwungvoll nach hinten, daß sie sich fast das Genick brach.
    Bißchen viel verlangt, morgens um halb zehn, dachte Mary, als sie wie ein verdrossenes Kamel auf die Knie sank und ihren Kopf vornüber hängen ließ, daß ihr die weichen, dunklen Haare ins Gesicht fielen. Der Bewegungsunterricht war wohl die schlimmste der vielen Torturen, die sie seit zweieinhalb Monaten auf der Rockingham-Schule zu erdulden hatten, ganz besonders diejenigen, die nicht zu den gehörten. Als Gipfel der Entwürdigung hatten sie sich zu den Stunden in grünen Trikots und einer kurzen, grünen Tunika mit spitzem Ausschnitt und halblangen Ärmeln einzufinden.
    «Verzweiflung!» befahl Miß Dallas und Mary, die hinter ihrem Haarvorhang zur Seite spähte, sah, wie Myrtle Drew sich in einem äußerst realistisch dargestellten Verzweiflungsausbruch gleichsam am Boden wälzte. «Furcht!» Alle fünfzehn hoben den Kopf etwas an, rissen die Augen auf und krümmten sich vor Angst. Myrtle übertrumpfte die anderen abermals, indem sie sich zusätzlich den Handrücken vor den Mund preßte. «Zorn!» grollte Miß Dallas. Die Köpfe hoben sich noch etwas, die Augen rollten, die Fäuste wurden geballt. Mary schüttelte ihr Haar zurück und überlegte, ob sie wohl ebenso

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