Marianne & David (German Edition)
sonst? Wir sind ein dienendes Volk. Nur auf den Arm nehmen lassen wir uns nicht gerne.“
„ Wann sind Sie denn nach Griechenland zurück?“ Die Frage kam von David.
„ Als mein Vater starb. Das ist jetzt zehn Jahre her. Er hat mir dieses Haus und noch ein anderes weiter unten im Dorf vererbt. Ich wäre irgendwann sowieso zurückgegangen. Immer in der Großstadt leben, das ist nichts für mich. Meine Frau und ich sind hier sehr glücklich. Die Winter sind zwar hart, aber von Frühjahr bis Herbst ist das hier wie im Paradies. Außerdem lieben wir es, Menschen um uns zu haben, Menschen aus aller Herren Länder. Daher war es naheliegend, dass wir eine Pension eröffnen würden. Übrigens: meine Frau ist eine ausgezeichnete Köchin. Heute Abend gibt es Lamm aus dem Backofen nach Art des Hauses.“
„Haben Sie Kinder?“ wollte David wissen.
Janni strahlte. „Unsere Tochter lebt in Ioannina. Sie ist dort verheiratet und kommt uns meistens an den Wochenenden mit ihren Kindern besuchen; unser Sohn studiert in Thessaloniki. Den sehen wir meistens nur in den Ferien.“
„Ich habe auch zwei Kinder“ , sagte David und die Be-geisterung, die dabei in seiner Stimme mitschwang, hielt Patrick für völlig überflüssig und maßlos übertrieben. Es schien ihm so, als wolle David mit seiner Bemerkung ausschließen, dass Janni in eine bestimmte Richtung Vermutungen anstellen könnte. Aber Janni war gar nicht der Typ, der sich allzu große Gedanken über seine Gäste machte. Ihm lag daran, alles zu tun, damit sich diese wohlfühlten. Welchen Neigungen sie frönten und welche unerfüllten Träume sie sich vielleicht niemals erfüllten, konnte ihm egal sein. Dafür mussten die Gäste schon selber sorgen.
„Wir müssen jetzt gehen“ , sagte Patrick, der offenbar befürchtete, dass sie hier bei Sonnenuntergang noch immer sitzen würden und es dann zu spät wäre, einen Blick in die Schlucht zu werfen.
Sie gingen die Straße, auf der sie vor mehr als einer Stunde gekommen waren, zurück und kürzten dann den Weg ab, indem sie auf einem der aus Steinen gepflasterten Wege, die wie Schienenstränge aussahen, nach unten stiegen. Dabei passierten sie ein weiteres Herrenhaus, eine stattliche Anlage, die von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben war. Gelbleuchtende Zucciniblüten hingen mit ihren großen Blättern von oben herab und waren mit dunkelroten Mittagsblumen eine Liaison einge-gangen.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie den Eingang des Klosters vor sich sahen. Die Anlage war zum Teil verfallen und längst nicht mehr bewohnt, aber aufgrund ihrer Lage noch immer eindrucksvoll.
Sie durchquerten das Gemäuer und folgten dem Pfad am anderen Ende, der sie zu einem kleinen Plateau führte. Achthundert Meter steil abfallende Felswände taten sich vor ihnen auf. Der Standort vermittelte ihnen einen Eindruck von der gewaltigen Schlucht, die sie morgen durchwandern wollten. Der Talboden war mit dichtem Wald bewachsen, der ihnen genug Schatten spenden würde. Ins Schwitzen würde sie trotzdem geraten, denn der Abstieg in die Schlucht war anstrengend, wie Patrick David versicherte, und der Aufstieg am anderen Ende sollte sicher nicht viel leichter sein.
Vielleicht war es das gewaltige Panorama, vielleicht auch die Abendstimmung mit dem schon rötlich gefärbten Himmel, die Patrick veranlassten, sich hinter David zu stellen und ihn mit seinen Armen zu umschlingen und ihn in den Nacken zu küssen. Beide spürten auf einmal eine tiefe Verbundenheit füreinander.
Sie standen bereits eine Weile reglos da, bevor sie das kleine Mädchen sahen, das aus dem Kloster herausgetreten war. Es starrte die beiden Männer an, bevor es umkehrte und wieder hinter den Mauern verschwand. Es vergingen nur wenige Sekunden, und sie kam zusammen mit ihren Eltern und ihrer kleineren Schwester, die im Kinderwagen saß, zurück. Immer wieder flüsterte sie ihrer Mutter etwas ins Ohr, die daraufhin zu den beiden Männern hinüberschaute und mit dem Kopf schüttelte.
„ Meinst du, sie hat irgend etwas mitbekommen?“ fragte David aufgeregt.
„ "Und wenn schon. Je früher sie sich daran gewöhnt, umso besser.“ Patrick behielt die Ruhe. Er wirkte völlig gelassen.
„ Aber sie ist doch noch ein Kind.“
„ Na und? Was haben wir denn gemacht? Uns ihr unzüchtig gezeigt oder sie mit Liebesritualen geschockt? Sie ist mindestens zehn. Ihre Mutter braucht ihr doch nur klar zu machen, dass auch Männer sich lieb haben können. Das versteht sie dann
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