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Marias Testament

Marias Testament

Titel: Marias Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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daran zu hindern, auch seinen anderen Arm auszustrecken. Einer von ihnen hielt seine Schulter fest und einer den Oberarm, aber trotzdem schaffte er es, den Arm gegen die Brust angewinkelt zu halten, sodass sie Verstärkung rufen mussten. Und dann hielten sie ihn fest und trieben einen zweiten Nagel hinein, sodass seine beiden Arme auf dem Holz ausgespannt waren.
    Ich versuchte sein Gesicht zu sehen, während er vor Schmerzen schrie, aber es war so qualvoll verzerrt und mit Blut besudelt, dass ich niemanden sah, den ich gekannt hätte. Es war die Stimme, die ich wiedererkannte, die Geräusche, die er machte, die ausschließlich ihm gehörten. Ich stand da und blickte umher. Es spielten sich auch andere Dinge ab – Pferde wurden beschlagen und gefüttert, Spiele wurden gespielt, Beleidigungen und Scherzworte ausgesprochen und Küchenfeuer entzündet, deren Rauch aufstieg und über den ganzen Hügel wehte. Es ist vielleicht heute schwer zu begreifen, dass ich dablieb und mir alles ansah, dass ich nicht zu ihm hinrannte oder ihm etwas zurief. Aber ich tat’s nicht. Ich starrte voller Grauen hinüber, aber ich rührte mich nicht von der Stelle und gab keinen Laut. Nichts wäre gegen den Grad ihrer Entschlossenheit angekommen. Nichts wäre dagegen angekommen, wie gut vorbereitet sie waren und wie flink. Aber es erscheint dennoch seltsam, dass wir zugesehen haben, dass ich mich dazu habe entschließen können, mich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Wir sahen zu, weil wir keine andere Wahl hatten. Weder schrie ich noch lief ich los, um ihn zu befreien, weil es nichts geändert hätte. Ich wäre beiseitegefegt worden wie etwas, was der Wind heranweht. Aber noch eines ist seltsam, erscheint nach all den Jahren seltsam: dass ich damals die Kraft besaß, mich zu beherrschen, Dinge abzuwägen, zu schauen und nichts zu unternehmen, und zu wissen, dass dies richtig war. Wir hielten einander und hielten uns zurück. Das war alles, was wir taten. Wir hielten einander und hielten uns zurück, während er Worte hinausheulte, die ich nicht verstand. Und vielleicht hätte ich da näher herangehen sollen, gleich was für Folgen es gehabt hätte. Es hätte nichts geändert, aber zumindest bräuchte ich mich jetzt nicht immer wieder zu fragen, wie ich es fertigbringen konnte, mich nicht auf die Leute zu stürzen und sie zurückzuzerren und zu schreien; wie ich es fertigbringen konnte, zuzusehen und stumm und reglos zu bleiben. Aber genau das tat ich.
    Als ich dazu imstande war, fragte ich unseren Aufpasser, wie lange mein Sohn brauchen würde, um zu sterben, und erfuhr, dass es wegen der Nägel und der Menge Blut, die er verloren zu haben schien, und der Hitze der Sonne schnell gehen konnte, es aber trotzdem durchaus noch einen Tag dauern mochte, es sei denn, sie brachen ihm die Beine, dann würde es schneller gehen. Es gab einen Verantwortlichen, erfuhr ich, und er wusste, was man machen musste, damit die Zeit schneller oder langsamer verging, er war ein Experte, das war sein Beruf, genauso wie andere Experten für Ernte und Jahreszeiten sind, sie kennen die rechte Zeit, wenn das Obst von den Bäumen zu ernten ist, oder die Zeit, die ein Kind braucht, um auf die Welt zu kommen. Diese Experten konnten dafür sorgen, erfuhr ich, dass kein weiteres Blut floss, sie konnten sogar das Kreuz von der Sonne wegdrehen, oder aber sie konnten sein Fleisch mit Speeren durchbohren und dadurch bewirken, dass er binnen ein paar Stunden sterben würde, noch vor Einbruch der Nacht. Das hätte bedeutet, dass er vor dem Sabbat sterben würde, aber dafür, erfuhr ich, würde die Erlaubnis der Römer, von Pilatus selbst, erforderlich sein. Und wenn Pilatus nicht auffindbar war, dann gab es unter den Anwesenden immer noch Männer, die für Pilatus sprechen und die Erlaubnis erteilen konnten. Fast wollte ich fragen, ob noch immer Zeit blieb, ihn zu retten, ob er befreit werden und noch mit dem Leben davonkommen könnte, aber ich wusste, dass es dafür zu spät war. Ich hatte die Nägel gesehen, bevor sie zwischen Unterarme und Hände eingedrungen waren.
    Dann sah ich, dass weitere Kreuze mit festgebundenen Männern aufgestellt wurden, aber das Holz schien zu schwer zu sein oder die Kreuze waren schlecht gezimmert worden, und jedes Mal wenn sie sie zum Stehen gebracht hatten, kippten die Kreuze wieder um und fielen zu Boden.
    Ich sah mir alles an, was es auch sein mochte: eine Wolke, die sich über den Himmel wälzte, einen Stein, einen Mann, der vor mir stand,

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