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Marias Testament

Marias Testament

Titel: Marias Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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könnte nicht mehr kommen, und Stunden vergingen. Ich täuschte mich, als ich dachte, Schlimmeres könnte nicht mehr kommen, und alles, was ich tat, um es zu verhindern, scheiterte, und alles, was ich nicht tat, um nicht daran denken zu müssen, versagte ebenfalls, bis es mich ganz mit seinem Klang erfüllte und die schiere Bedrohlichkeit dieser Stunden in meinen Körper eindrang; so kehrte ich vom Tempel zurück, und die Bedrohung pochte noch immer in meinem Herzen.
    Mit dem Geld, das ich angespart hatte, kaufte ich bei einem Silberschmied eine Statuette der Göttin, die mich ermuntert hatte. Und ich versteckte sie. Aber es bedeutete mir etwas zu wissen, dass sie im Haus nah bei mir war und dass ich nachts, wenn ich das Bedürfnis hatte, ihr zuflüstern konnte. Ich konnte ihr erzählen, was geschehen war, und wie ich hierhergekommen war. Ich konnte von der großen Unrast sprechen, die sich breitmachte, als die ersten neuen Münzen aufkamen, und die neuen Dekrete und die neuen Wörter für allerlei Dinge. Menschen, sowohl Männer wie Frauen, die nichts hatten, begannen von Jerusalem zu sprechen, als ob es auf der anderen Talseite läge, statt zwei oder drei Tagesreisen entfernt. Und als klar wurde, dass die jungen Männer dorthin gehen konnten, jeder, der schreiben konnte, Zimmermann war, Räder anfertigte oder Metall bearbeitete, ja, jeder, der nur verständlich reden konnte oder mit Stoffen, Getreide, Obst oder Öl handeln wollte, sie alle gingen dorthin. Es war plötzlich einfach, dorthin zu gehen, aber natürlich war es nicht einfach zurückzukommen. Sie schickten Botschaften und Münzen und Stoff, sie schickten Nachrichten über ihr Leben, aber was immer dort war, es hielt sie mit einem Sog fest, es war der Sog des Geldes, der Sog der Zukunft. Ich hatte bis dahin noch niemanden über die Zukunft sprechen hören, außer sie sprachen vom nächsten Tag oder von einem Fest, das sie jedes Jahr besuchten. Aber nicht im Zusammenhang mit einer Zeit, in der alles anders und alles besser sein würde. Genau eine solche Idee fegte damals durch die Dörfer wie ein trockener heißer Wind und riss jeden, der zu irgendetwas taugte, mit sich fort. Sie riss auch meinen Sohn mit sich fort, und das war für mich keine Überraschung, denn wäre er nicht gegangen, hätte er im Dorf auffallen können, und die Leute hätten sich vielleicht gewundert, warum er nicht ging. Es war also ganz einfach – er hätte gar nicht bleiben können. Ich stellte ihm keine Fragen; ich wusste, dass er leicht Arbeit finden würde, und ich wusste, dass er das Gleiche wie die anderen schicken würde, die vor ihm gegangen waren, ebenso wie ich, wie die anderen Mütter für ihre Söhne, für ihn die Sachen einpackte, die er brauchen würde. Es war nicht einmal traurig. Es ging einfach etwas zu Ende, und als er aufbrach, gab es einen Menschenauflauf, weil an dem Tag auch andere aufbrachen, und als ich nach Hause zurückkehrte, lächelte ich fast beim Gedanken, welch ein Glück seine Gesundheit war, die es ihm erlaubte wegzugehen, und ich lächelte auch, weil wir in den Monaten vor seiner Abreise – vielleicht während des ganzen letzten Jahres – vorsichtig bedacht gewesen waren, nicht zu viel zu reden oder uns zu nahe zu kommen, denn wir wussten, dass er weggehen würde.
    Aber ich hätte dieser Zeit, bevor er wegging, mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, darauf achten sollen, wer ins Haus kam, worüber an meinem Tisch gesprochen wurde. Es war nicht Scheu oder Zurückhaltung, was mich veranlasste, in der Küche zu bleiben, wenn die mir Unbekannten kamen, es war Langeweile. Etwas an der Ernsthaftigkeit dieser jungen Männer stieß mich ab, trieb mich in die Küche oder in den Garten; etwas an ihrem unbeholfenen Hunger und das unbestimmte Gefühl, dass jedem von ihnen irgendetwas fehlte, erweckte in mir das Bedürfnis, Essen oder Wasser oder was auch immer zu servieren und dann schnell zu verschwinden, bevor ich ein einziges Wort von dem gehört hatte, worüber sie redeten. Oft schwiegen sie zunächst, befangen, gierig, und dann war das Gespräch zu laut; es redeten zu viele von ihnen gleichzeitig. Noch schlimmer war es, wenn mein Sohn sie anhielt zu schweigen und dann anfing, mit ihnen wie vor einer Volksmenge zu reden, seine Stimme ganz künstlich und sein Ton gestelzt. Ich konnte es nicht ertragen, ihn zu hören, es war wie ein Knirschen, das mir durch und durch ging, und oft fand ich mich auf den staubigen Gassen wieder, unterwegs mit einem Korb, als

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