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Marienplatz de Compostela (German Edition)

Marienplatz de Compostela (German Edition)

Titel: Marienplatz de Compostela (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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wenige Menschen hierher und ich verlerne dabei die Regeln der Gastfreundschaft. Ich habe gar das Gefühl, je weniger ich mit Menschen zu tun habe, desto stärker drängt meine misanthropische Seite in den Vordergrund.«
    Sie lachte. »Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Sie sind alles andere als ein Misanthrop.« Die Gelegenheit war günstig für die Frage: »Wohnen Sie denn ganz alleine hier draußen?«
    »Ja, inzwischen schon.. Es ist mein Elternhaus, mehr noch, das Haus meiner Familie. Der Urgroßvater«, er deutete nach vorne zum Teich, »ich erzählte Ihnen bereits von ihm – der Schwimmer. Er war im vorletzten Jahrhundert mit seiner Eisenfabrik ein reicher Mensch geworden und hat nicht nur eine große Familie begründet, sondern auch dieses Haus hier erbaut. Er war damals mit seinen Fähigkeiten zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Eisenbahnschienen, Geschützrohre, Gewehrläufe. Stahl, alles aus Stahl, der gezogen und gedreht werden musste. Nun ja, das ist lange her, wirkt aber bis heute fort und beeinflusst unser aller Leben. Wir müssen uns das nur immer wieder verdeutlichen. Je älter ich werde, desto intensiver werden mir die Bezüge meines eigenen Lebens zu denen meiner Vorfahren deutlich.«
    »Es ist ein verwunschen schöner Ort, voller Frieden und Stille«, sagte sie, und blickte um sich. Wieder fühlte sie diese innere Eintracht, die erlöschende Aggressivität und die wachsende Sympathie, die sie diesem Ort und dem Mann entgegenbrachte. Sie spürte die Sehnsucht nach Friedlichkeit in sich. Den Wunsch, mit diesem Fall nichts mehr zu tun zu haben, ihn von Schulter und Seele schütteln zu können. Hier zu sein, im Schatten der Bäume – das tat gut. Es verlangte ihr viel Kraft ab, sich dieser geistigen Lust zur Schwäche entgegenzustellen. Ein wenig half ihre Neugier, diesen Mann, das Haus und seine Familie betreffend. Seine Haltung, sein Benehmen, das mimische Spiel in seinem Gesicht – es interessierte sie aus einem ihr unbekannten, tiefen Grund. »Ist Ihnen etwas eingefallen?«, kehrte sie zurück zu ihrer Frage, »ich meine, was diese Orte angeht?«
    Er verzog den Mund. »Nein. Das ist aber auch wirklich schwierig. Es hat sich ja auch so viel verändert in den letzten Jahrzehnten und als ich vorhin zum Haus gegangen bin – übrigens seit langer, langer Zeit ohne meinen Stock, von dem ich meinte, ohne ihn völlig hilflos zu sein –, da ist mir aufgefallen, wie wenig ich noch unter Leute gehe. Was ich Ihnen, wenn es mir denn einfiele, erzählen könnte, wären Dinge aus einer Zeit, die lange vorbei und vergangen ist. Sie aber benötigen Informationen aus der Jetztzeit und die kann ich Ihnen nicht geben.« Er beugte sich nach vorne und schenkte ein. »Trinken Sie, es tut gut bei dieser Wärme. Holunder, aus eigenem Anbau sozusagen.« Lara dankte und holte mit einer entschuldigenden Geste ihr Handy hervor.
    Er schüttelte den Kopf. »Die Dinger gehen hier nicht … mein Neffe flucht immer ganz fürchterlich, weil er sich nicht wirklich am Leben fühlt, wenn er in keinem Netz hängt. So hat er es mir einmal gesagt. Das ist also die Freiheit, von der man heute träumt. Vernetzt zu sein – ein anderer Begriff für gefangen.«
    Sie lächelte. So konnte man das durchaus auch sehen. »Sie sind demnach doch nicht ganz alleine.«
    »Er kommt regelmäßig, ja. Aber ansonsten versuche ich diesen Raum belebt zu halten. Eine zunehmend herausfordernde Aufgabe, die mich allerdings zur Gänze erfüllt. Ich weiß gar nicht, ob ich es ertragen könnte, wenn hier noch andere Menschen lebten … verstehen Sie? Wir Menschen gewöhnen uns so schnell … und schon sind wir wieder beim Misanthropen.«
    Sie legte das Handy weg. Sollte sie ihn fragen, ob sie von drinnen telefonieren könnte? Das würde ihr einen Blick ins Haus ermöglichen.
    Er hatte ihren enttäuschten Blick wahrgenommen. »Ich würde Ihnen ja gerne mein Telefon anbieten. So ein altes Ding mit Kabel. Knöpfe hat es zwar schon und keine Wählscheibe mehr. Aber die Herren von der Baufirma haben alles lahmgelegt. Wenigstens ist noch Strom im Haus. Der arme Mensch auf dem Bagger hat das Telefonkabel erwischt und es gab ein großes Geschrei deswegen. Na ja, wie es eben so ist. Jetzt ist die Baustelle unterbrochen, weil das Flickzeug erst morgen zur Verfügung steht.«
    »Wie es eben so ist«, wiederholte Lara Saiter die Floskel und wirkte ernüchtert. Wie sollte sie weitermachen? Sie wollte hier nicht fort. Die Sonne war inzwischen hinter den Bäumen

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