Marienplatz de Compostela (German Edition)
Eine Säule trennte es von der hohen Zugangstür, an der der Postkasten hing. Er glänzte neu, genau wie die moderne Klingel- und Sprechanlage. Der Name Bohden war in eine Metallplatte eingraviert.
Sie lauschte. Von drinnen war nichts zu hören. Ein kleiner Landsitz in der Einsamkeit und das so nahe bei der Stadt. Sie hatte noch nie davon gehört. Vielleicht, weil hier kein Radweg vorbeiführte und nur diese versteckte Zufahrt existierte.
Sie holte ihr Handy hervor – kein Netz.
Sollte sie bei Bohden klingeln?
Die anderen wussten nicht, wo sie sich befand. Zurück zur Straße fahren brachte auch nichts, denn da war auch kein Netz verfügbar, das war ihr vorher an der Anzeige im Display aufgefallen. Viel mehr Zeit wollte sie nicht verlieren.
Eine schwierige Entscheidung. Das Haus zog sie an, es hatte eine gute Aura. Sie drückte den Klingelknopf und wartete.
Der Gesang der Vögel trat in den Vordergrund und sie fühlte bewusst ihr rechtes Bein hinunter, wo die kleine, giftige 38er Magnum in einem Klettholster an der Wade hing. Der leichte Stoff ihrer Escada umspielte das blanke Metall. Es gab Sicherheit.
Ein Surren riss sie aus dem kontemplativen Moment. »Bitte!?«, hörte sie eine dunkle, in den Anfangslauten brüchige Männerstimme sagen.
Sie nannte ihren Namen, sagte routiniert ihr Sprüchlein von der Polizei zu sein und ein paar Fragen zu haben.
»Ich komme gleich, einen Moment bitte.«
Sie spürte ihre Anspannung.
Es dauerte, bis sie Schritte vernahm. Kies knirschte und die Schrittfolge klang uneinheitlich. Er hinkte.
Die schwere Holztüre quietschte in den Angeln, als sie nach außen schwang und den Blick nach innen freigab. Die kurzen grauen Haare fielen ihr zuerst auf, das braune Gesicht mit der schmucklosen Brille, das unrasierte Gesicht. Er stützte sich auf einen Stock. Obwohl es sommerlich warm war, trug er weite, dunkelbraune Cordhosen. Das beige Hemd hatte wenigstens kurze Ärmel. Sein Alter war schwer zu schätzen. Es konnte ein alt aussehender Endfünfziger sein, oder ein jung gebliebener Endsiebziger. Seine Augen waren wach und sie stellte fest, wie sie den Platz vor dem Tor absuchten, kurz am Auto hängen blieben und erst dann bei ihr landeten. Er sah ernst drein.
»Herr Bohden?«, fragte sie.
Er nickte, stellte sich seitlich hin und wies mit dem Kopf durch die Tür.
Sie sollte also eintreten.
Es quietschte wieder, als er das Tor hinter ihr schloss. Ohne zu warten ging sie einige Schritte weiter, um sich ungestört einen Überblick zu verschaffen.
Vom großen Tor aus führte eine gekieste Zufahrt zum Wohnhaus. Erst von hier war zu erkennen, dass sich weitere, niedrigere Gebäude daran anschlossen; früher einmal Ställe und Stadel. Die Außenmauern umfassten ein weitflächiges Gelände und endeten zu beiden Seiten in einem grünen, undurchdringlichen Gestrüpp, das jenseits der Mauern in den Wald überging. Der Innenfassade des Wohnhauses präsentierte sich ein so herrlicher Park, dass Lara Saiter kurz den Atem anhielt. Ein kleines abgeschottetes Paradies. Rosenbüsche flankierten die Ecken der Gebäude. Auf dem gepflegten Rasen standen zwei Trauerweiden und weiter hinten zwei alte Kastanien. Die Süße der Rosen und die Würze des Rasens mischten sich zu einem erfrischenden Duft. Ein Tisch, eine Bank und Gartenstühle standen unter den ausladenden Ästen der Kastanien im Schatten. Die glitzernde Fläche eines großen Teichs schillerte vom hinteren Ende des Grundstücks. Eine alte Holzhütte stand ein wenig abseits des Ufers. Nah dabei eine Schaukel und ein verwilderter Sandkasten.
Seine ungleichmäßigen Schritte waren zu hören und sie wartete, ohne sich nach ihm umzudrehen. Er musste ihren Blick geahnt haben, vielleicht hatte sie auch auffallend lange dagestanden und in den Park gesehen, denn als er neben ihr anlangte, erklärte er: »Mein Urgroßvater hat den Teich ausheben lassen. Er war ein begeisterter Schwimmer; man erzählt sich, er habe diese Leidenschaft zu jeder Jahreszeit ausgelebt. Es gibt ein paar alte, vergilbte Fotos, die einen strengen, disziplinierten Mann zeigen. Die Ölbilder mit ihm drauf sind nicht viel fröhlicher. Ich selbst bevorzuge es, im Sommer im Schatten zu sitzen und im Winter am Fenster hinter dem Kamin. Da genieße ich den Blick auf dieses Inselreich der Natur und auf Eichhörnchen, Meisen, Kernbeißer, Finken und Kleiber. Jetzt sind sie nur schwer zu sehen, aber gut zu hören, wenn man ihre Stimmen kennt. Ich scheine wenig von meinem
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