Marienplatz de Compostela (German Edition)
Zwetschgendatschi auf Wespen. Und es ging auch so zu.
Nördlich von Wolfratshausen, auf Höhe Icking, wurde die Isar getrennt – in Naturlauf und Kanal. Das geschah oberhalb der Pupplinger Au, nicht weit von der Stelle entfernt, wo die Loisach einmündete. Es gab auch den Loisach-Isar-Kanal, aber das war ihr zu weit südlich. Am Kanal entlang, die Isar stromabwärts oder war es umgekehrt? Die Isar entlang, am Kanal stromabwärts ? Egal. Sie wollte bei Icking an die Isar stoßen und von dort aus in Richtung Münchner Süden fahren. Dort musste es einen Ort, eine Stelle geben … ja was? Wo ein Schild stand, auf dem Anne Blohm geschrieben stand, mit einem Pfeil, der die Richtung angab.
Sie wischte die resignierenden Gedanken beiseite, brauchte Zeit, um nachdenken zu können, was im Büro gerade nicht möglich war, wo ständig das Telefon klingelte, einen die Papierstöße mit Berichten, Analysen, Gutachten und Aktenvermerken ein schlechtes Gewissen dahingehend vermittelten, vielleicht doch nicht alles intensiv genug gelesen zu haben, und somit der entscheidende Hinweis noch unentdeckt lag. Sie wollte fort, unter freien Himmel, wollte der inneren Enge entfliehen, die ihr der Fall bereitete.
Sie sprach laut: Am Kanal entlang, die Isar stromabwärts . Ja, es kam nur die Isar infrage und Bucher hatte von Anfang an recht gehabt, mit seiner Vermutung, alles Geschehen habe sein Zentrum in München. Natürlich – kein Täter würde mit dem Bein einer Toten länger als erforderlich unterwegs sein wollen, wenngleich sie lange den Ansichtskarten Glauben geschenkt hatte und selbst jetzt noch ein kleiner Funke Ungewissheit in ihrem kriminalistischen Herzen glomm.
Intuition hatte sie hierher an die Isar gezogen, an den Fluss, in dessen Nähe sich Anne Blohm befinden musste. Entlang des Ufers musste es diesen einen Ort geben, den sie identifiziert und mit ihrem Text markiert hatte. Keine Wohnung, kein Keller im herkömmlichen Sinn. Ein einsamer Ort, nicht im Einflussbereich der Alltagsneugier von Menschen, nicht an Schnittpunkten.
Sie fuhr durch lichte Bebauung. Die Wohnviertel verschwanden zusehends hinter Hecken, die Dächer wurden niedriger und hohe Baumwipfel ragten in den Himmel. Hier lebte man zurückgezogen, der Natur nahe und trotzdem auf einem von allen Energien durchflossenen Aderwerk einer modernen Stadt. München bildete Rhizome wie Bambus.
Das Radio war ausgestellt und die Seitenscheiben heruntergelassen. Die warme Luft wirbelte angenehm auf der Haut ihres Gesichts und sie vermisste ein wenig das Gefühl von Sommerwind in langen Haaren. Andererseits war es eine praktische Sache im Sommer, der Kurzhaarschnitt.
Die Isar war nicht weit entfernt hinter den Bäumen. Es war einsam hier draußen, selbst an einem Sommermontag. Sie rollte langsam dahin, wegen der Radler, die häufiger und gefährlicher als jede Wildsau und jedes Reh die Straße kreuzten.
In sanften Kurven führte die schmale Straße hinunter an den Flusslauf, folgte ihm für ein paar Hundert Meter, um sich in einer weitläufigen Rechtskurve dem Kamm eines bewaldeten Hügels zuzuwenden. Dahinter ging es leicht bergab, einer Lichtung zu. Das Sonnenlicht brachte die Blätter zum Leuchten. Ihre Gedanken flohen schon den aktuellen Fall und standen in der Gefahr vom Sommerabend in ganz andere Gefilde gezogen zu werden. Rechter Seite, zwischen den Baumstämmen hindurch, leuchtete für einen Moment ein kräftiger roter Flecken auf. Fremd zwischen all dem Grün. Ein Dach. Ein großes Dach. Sie reduzierte die Geschwindigkeit und suchte die Zufahrt. Irgendwo musste ja ein Weg abzweigen und dorthin führen.
Ein unbefestigter Weg folgte bald und die Räder knirschten laut, als sie langsam über den Schotter rollten. Nach einigen Kurven tauchte eine verfallene Mauer vor ihr auf und dahinter erhob sich die Wand eines herrschaftlichen Baus. Neunzehntes Jahrhundert, tippte sie. Ein breites Walmdach, dicke Mauern, im oberen Drittel Fachwerk. Mehr war nicht zu sehen, denn ein altmodisches Holztor und hohe Mauern, die den Innenhof abschirmten, verwehrten den Blick. Sie stellte das Auto neben der Zufahrt ab und stieg aus.
Stille. Ein Bussard schrie und durchbrach schrill das Konzert der Vögel. Von fern war der Motor eines Autos zu hören, das drüben auf der Straße den Anstieg nahm. Im Schatten der Hauswand lagen frische Erdhaufen; ein kleiner Bagger war daneben abgestellt. Orange und gelbe Plastikrohre lehnten an der Hauswand.
Lara ging zum zweiflügeligen Holztor.
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