Marienplatz de Compostela (German Edition)
Becks Weggang löste sich auch die Besprechungsrunde auf und jeder ging seiner Arbeit im Büro nach. Es wurde telefoniert, recherchiert, Mails wurden auf den Weg gebracht und mittags gingen Bucher und Hartmann zum Essen ins Bellini. Lara Saiter hatte für die Mittagszeit eine Verabredung im Arnulfpark und Batthuber vertrug das Kantinenessen.
Die beiden nahmen den etwas längeren Weg über Blutenburg- und Elvirastraße, wo es wesentlich ruhiger zuging als die paar Meter weiter in der Nymphenburger Straße, wo zur Mittagszeit Autos, Radfahrer und Fußgänger den Raum eng machten. Gerade im Dreieck von Basic, Wappen-Apotheke und Edeka, also rund um die U-Bahnausgänge der Maillingerstraße, herrschte Hochbetrieb.
Für die Mittagszeit blieb die Arbeit als Gesprächsthema ausgespart, um der Perlhuhnbrust, für welche sich beide entschieden hatten, den angemessenen Genuss zukommen zu lassen. Es war wohltuend unter der alten Linde, im Garten. Hohe Buchenhecken schirmten zur Nymphenburger hin ab und vermittelten etwas Verwunschenes, Einsames – mitten in der Stadt.
Hartmann erzählte vom Wochenende mit seiner Patchworkfamilie. Er war immer noch mit dieser Blonden zusammen, die er einige Fälle zuvor kennengelernt hatte. Das Strohfeuer, das Bucher damals vermutete, war zu einer beständigen Glut geworden. Er hörte Hartmann nur noch ganz aus der Ferne zu, denn ihm war bewusst geworden, dass auch er bei diesem Fall Miriam kennengelernt hatte. Hartmann riss ihn mit einer Frage aus seinen Gedanken. »Das ist doch so, oder nicht?«
»Mhm, ja«, antwortete Bucher zustimmend, ohne zu wissen, worum es ging.
Die Perlhuhnbrust war vorzüglich, Hartmann zufrieden, und über München spannte sich ein blauer Wittelsbacher Himmel auf.
»Ich war grad ganz woanders«, sagte Bucher.
Hartmann lachte und kippte den letzten Tropfen Espresso wie einen Schnaps hinunter.
Verloren
Die Tage waren verloren und die Zeit ein bedeutungsloses Etwas. Sie hatte lange geweint. Die seltenen Geräusche, die aus ferner Nähe zu ihr drangen, verrieten den Tagesbeginn.
Es war zum Verrücktwerden! – und doch war sie es noch nicht geworden – verrückt. Weshalb eigentlich nicht? Verrücktwerden hätte einem die Verantwortung für sich selbst genommen und es so einfacher gemacht.
Nein, sie wusste es, warum: Verrückt war sie nicht geworden, weil sie andere Fähigkeiten und Methoden, Fantasie und Erinnerungen hatte, um ihre Seele zu hindern am Erdulden nicht zu ersticken. Wenn ihre Zeit schon nicht mehr in die Zukunft führte, dann musste sie die Vergangenheit benutzen, um sich eine Gegenwart zu schaffen – eine, die erträglich war.
Bevor sie geweint hatte, war er da gewesen und sie hatte ihn herrisch behandelt, dabei seine Unsicherheit gespürt, was ihr geholfen hatte ihre Angst zu unterdrücken. Er war dann in der hinteren Kammer verschwunden und sie hatte das Klirren von Metall vernommen, was ihr die Kraft aus der Mitte ihres Körpers entzogen und sie bittere Angst hatte spüren lassen.
Jetzt lag sie, ausgeweint und voller Schmerzen, an die Wand gelehnt, suchte eine Position, die die Muskeln entspannte und ging in Gedanken spazieren. Es war jetzt die Zeit, da der Garten zu Hause in voller Blüte stand. Zu Hause. Das Wort erschien ihr und ließ sie dumpfen Seelenschmerz fühlen – zu Hause.
Sie lag hier auf einer alten Holzliege, ein ausgefranstes Polster diente als Matratze, es gab ein schmuddeliges Kissen für den Kopf, eines, das sie sich unter die Kniekehlen schob. Sie hielt die Augen geschlossen und lauschte ihrem Atem nach, bis sie ihren ganzen Körper spürte und ruhig wurde. Sie träumte sich in jenen Garten, der ihr immer Zuflucht gewesen war, und ließ ihre Gefangenschaft hinter sich: Der Himmel war leuchtend blau. Ein Sonntagnachmittag. Ruhe war eingekehrt. Von Ferne ein Lachen, ein Motor surrte, Geschirrklappern aus Küchenfenstern, Musikfetzen – ein Klavier. Weiße Wolken glitten über ihr dahin. Der Spitzahorn und die Pyramideneiche reckten sich dem Blau zu. In ihren Wipfeln fing sich ein leiser Hauch und ließ Zweige und Blätter winken. Sie spürte den Anflug von Frische auf der Haut und genoss ihn. Im alten Rosenbusch, der alle Blüten verloren hatte, hüpften die Mönchsgrasmücken herum, die Männchen mit der schwarzen Kopfplatte und dem wundervollen, flötenden Gesang, immer am Morgen und am späten Nachmittag und meistens kam er aus dem alten Jasmin. Der Dost breitete sich aus wie Unkraut und schwenkte seine rosa
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