Marienplatz de Compostela (German Edition)
Dallmayr. Er hätte ein Döschen foie gras besorgen können, oder Rilettes , die ein wenig billiger waren. Er ließ es sein. Für den Fall Anne Blohm hatte er sich von hier mehr Inspiration erwartet. Nun stand er da, wie ein Fremder in der eigenen Stadt, betrachtete die Leute, die ihre Fotoapparate und Smartphones weit von sich oder weit über sich hielten und in diesen Körperhaltungen ein bizarres Bild abgaben. Und er? Seine Aufgabe war es, einer vermutlich toten Frau nachzuspüren. Das Gefühl, das er mit dem Besuch hier hatte generieren wollen, stellte sich nicht ein: die Ahnung einer Spur, oder etwas Sublimes in dieser Richtung. Nein – er stand hier, bewunderte die goldglänzende Maria und seine Gedanken kreisten um Morbier, französische Gänseleberpastete, Rosé und Rotwein.
Er nahm die nächste S-Bahn bis zur Hackerbrücke – aus der Traum. Eisenkonstruktion, Stahlnieten, Glasfronten, kühle Realität.
*
Anne Blohm hatte in einem Büro am Stefan-George-Ring gearbeitet.
Wie Hartmann inzwischen herausgefunden hatte, war sie jeden Tag mit der S-Bahn hinaus nach Daglfing gefahren, und er hatte den Wunsch verspürt, diesen Weg, den sie während der letzten Monate täglich zurückgelegt hatte, kennenzulernen. Ohne es zu wissen leitete ihn ein ähnlicher Wunsch wie Bucher und er erhoffte sich eine Erkenntnis davon, die ihn dieser Frau, ihrem Alltag, ihrem Denken näherbringen sollte.
Batthuber setzte ihn an der Hackerbrücke ab und er nahm die S8 Richtung Flughafen. Das klang nach großer weiter Welt und konnte doch an einem Ort wie Daglfing enden. Dort wollte er sich an der Firma mit Batthuber treffen, der mit seinem Vorhaben nichts anfangen konnte.
Die Züge waren mittags nicht so vollgestopft, wie das am frühen Morgen üblich war, wenn die ganze Stadt auf den Beinen war, Groß und Klein auf Straßen und Wege drängte und in den müden Gesichtern noch die Träume oder Schrecken der Nacht verfangen waren. Wie das nur die Menschen aushielten – jeden Tag aufs Neue diese Wucht, die diesem Rhythmus innewohnte?
Hartmann hockte sich auf eine der harten Polsterbänke und sah in den langen Schlauch der neuen S-Bahnzüge. Der Hauptbahnhof leuchtete in mattem Rot. Dann ging es ruckelnd weiter durch den Tunnel, bis münchenblaue Säulen auftauchten – Karlsplatz. Das Rattern der Räder, Zischen der Druckluft und Knarzen der Wagenkupplungen erfüllte das Innere der Waggons. Siebzigerjahreorange – Marienplatz.
Die Gesichter der Mitfahrenden waren jetzt, auf der Höhe des Tages, frischer und neugieriger, die Gespräche waren lauter, und sogar Lachen war zu hören. Das gab es am Morgen nur selten, und wenn es denn zu dieser Unzeit geschah, verbreitete es Beklommenheit, denn in der Frühe gab es nichts zu lachen; wenn da gelacht wurde, war es gefährlich und der war gefährlich, der lachte. Grüne Borten tauchten auf – Isartor.
Hartmann ließ seinen Körper die vibrierenden Bewegungen spüren. Am Rosenheimer Platz blitzte das Gelb auf. Namen waren nicht erforderlich. Man musste nur die Farben kennen, um zu wissen, an welcher Stelle man sich unter der Stadt befand. Nach dem Rosenheimer Platz kamen das Tageslicht und die Bürobauten.
In Daglfing stieg er aus. Ganz alleine stand er da und sah sich auf dem einsamen Bahnsteig um. Die S8 verlor sich im Flirren über den Gleisen. Es war still. Drei Spatzen hüpften zeternd herum und sammelten Brosamen. Er kam sich vor, als hätte man ihn an einem einsamen amerikanischen Highway ausgesetzt.
Die Sonne brannte herunter und die Wärme reflektierte in heißen Schwällen vom Teer. Eine solche Gottverlassenheit fast mitten in der Weltstadt mit Herz? Und die entschwindende S-Bahn fuhr zu diesem Flughafen, wo die pochenden, never-sleeping-hearts der Welt erreicht werden konnten; in deren Hinterhöfen es genauso einsam war, wie in Daglfing.
Er ging die Treppe hinunter in den tristen Durchgang, in dem die Schritte hallten, und hinüber zur Daglfinger Straße, passierte dort die im Schatten der Bäume geparkten Autos und kam auf den Trampelpfad, den er bei Google Maps bereits entdeckt und als kürzeste Strecke zum Bürogebäude identifiziert hatte. Ein Güterzug schlich müde quietschend vorbei, beladen mit Traktoren. Der Weg wand sich durch verwildertes Buschwerk. An den wenigen freien Stücken war der Blick auf einen Hang zu erkennen. Brennnesseln breiteten sich aus und Schmetterlinge tänzelten aufgeregt umher. Er roch die Frische, die aus den schattigen Flecken
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